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Kriegstagebuch Willy Glaubig

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Essenholen in der Nacht (bei Langemark)

 

Flandernschlacht, Anfang August 1917

mit der 9. Komp. Ruß.Inf.Reg. 263

 

 

Der Abend bricht herein. Unsere Aufgabe, das Beobachten von den vordersten Granattrichtern aus, wird immer schwerer. In der Dämmerung und der Nacht sind die Angriffsmöglichkeiten des Feindes am Größten

und der feuchte Lehmboden, auf dem wir sitzen, wird immer kälter.

Gewöhnlich des Abends wird das Artilleriefeuer stärker und schwillt oft zum Trommelfeuer an.

Zwei Mann hocken meistens zusammen in einem offenen Granatloch.

Es ist 12 Uhr nachts. Das Feuer ist nur noch lebhaft, als der Befehl „Essenholer antreten“ von Granatloch zu Granatloch weitergesagt wird. Ich sammele die Feldflaschen meiner Gruppe ein und warte an einem Betonklotz, wo sich die Essenholer immer sammeln. Alles ist da, also von jeder Gruppe ein Mann.

Wir gehen scharf nach rechts, um bald die Straße, die nach Langemark führt, zu erreichen. Viele Baumstämme werden überklettert, und die großen Granattrichter in Langemark benutzen wir, um während einer kleinen Ruhepause Deckung zu nehmen, denn Häuser sind nicht mehr vorhanden.

Der Weg ist weit, wohl fast 3 Stunden zu laufen. Am Westausgange des nächsten Dorfes Poelkapelle wartet unsere Feldküche. Die Speisenträger sind schon gefüllt. Wir empfangen Brot, Zubrot usw., lassen auch unsere

Feldflaschen mit Kaffee füllen. Alles ist ausgegeben. Die Küche macht kehrt und verschwindet zurück.

½ 4 Uhr ist es bereits geworden, die höchste Zeit für uns, um wieder nach vorne zu gehen, denn auch früh wird meistens das Feuer stärker.

Ich nehme meine Feldflasche und gehe als Führer voran. Immer zwei Mann, einen Speiseträger tragend, geht es im lebhaften Schritt der Front zu. Vor dem Dorfe Langemark wird gewechselt. Die Leute, die nur Feldflaschen und Brot tragen, müssen die Speisenträger

nehmen. Kaum haben wir die Hälfte des Dorfes erreicht, als plötzlich das Artilleriefeuer von drüben her zum Trommelfeuer anschwillt. Wir müssen vor.

Rückwärts gehen ist vielleicht noch schlechter. Eine Kochkiste wird von einem Sprengstück getroffen und das gute Mittagessen ist verloren. Wir lassen natürlich die Kiste liegen, weil auch einer von den Trägern verwundet ist.

Das Weitergehen kommt ins Stocken. Alles hat in Trichtern Deckung genommen.

Der Verwundete geht mit Leidensgenossen zurück, die zufällig vorbeikommen. Wir gehen aber nach kurzer Atempause im Gänsemarsch weiter vor. Das stärkste Feuer ist in der Nähe der großen Steinhaufen, wo einstmals die Kirche stand.

Ich bin schon glücklich vorüber. Hinter mir, am Ende unserer Kolonne, ruft es aber „Sanitäter!“

Wieder zwei Mann verwundet.

Der Krankenträger geht mit ihnen zurück. Langemark und die größte Hälfte der Straßen bis zur ersten Linie, haben wir fast im Laufschritt überwunden. Die schlimmste Feuerzone liegt jetzt hinter uns. Noch eine kurze Atempause und das letzte Stück Weges bis zum Betonblock, über das schwierigste Gelände hinweg, wird angetreten.

Stolpernd geht es eiligst über Baumstämme und umherliegende Zweige hinweg. Tote Kameraden, die Munition oder Lebensmittel vorbringen wollten, liegen auf den Rändern der Trichter. Von den fortwährend einschlagenden Granaten werden sie immer wieder beerdigt und immer wieder hoch umher geschleudert. In einem großen Trichter, der mit Wasser gefüllt ist, sieht man noch die Mannschaft mit einem Maschinengewehr, die im Schlamm ertrunken sind. Jetzt haben wir die Reste eines erhöht liegenden Hauses erreicht, hinter welchem viele tote Kameraden und noch mehr Engländer und Farbige liegen. Wir biegen hier links von der Straße ab. Nur mit großer Mühe können wir den Betonblock erreichen, denn der Lehmboden ist vom Regen noch so aufgeweicht, daß die Stiefel bald stecken bleiben.

 Todmüde kommt doch einer nach dem anderen an. Hinter dem Betonblock in Deckung wird alles geteilt. Jeder nimmt warmes Essen, Brot, Zubrot usw., um es an die Kameraden seiner Gruppe zu verteilen. Schnell hüpft jeder von Trichter zu Trichter, denn ein Angehöriger der Gruppe weiß eigentlich nur genau, in welchen Löchern seine Kameraden liegen. Alle erhalten ihre Lebensmittel, und auch ich sitze wieder im Trichter und löse sofort meinen Kameraden im Beobachten ab, der doch erst etwas essen will. Es gibt aber noch keine Zeit zum Essen. Rechts   von mir steigen rote Leuchtkugeln auf.

Rot frißt heute Sperrfeuer. Tommy greift öfter an. Unsere Artillerie nimmt sofort die englische erste Linie und das Vorgelände unter stärkstem Trommelfeuer, auch vor unserem Abschnitt, wo nichts vom Feinde zu sehen ist. Rechts von uns auch Maschinengewehr und Gewehrfeuer.

Es wird Tag. Langsam wird es ruhiger. Der Angriff ist abgeschlagen. Die ersten Flieger summen schon über uns. Alles hat Deckung genommen und wartet auf die wärmende Sonne.

In der unbequemsten Lage muß ein jeder sein Essen verzehren. Tagsüber ist das Artilleriefeuer meistens schwächer, und man findet auch mal Gelegenheit, eine

Zigarre oder einen Kopf Tabak zur Vertreibung des Schlafes zu rauchen.

  

Ein Tag auf Unteroffizierposten

​

(Mit R.I.R. 263 im Westen)

bei Fromelles

 

 

Der Abend kommt. Das Essen wird uns von der Küche nach der Höhenstellung geholt. Wir legen unsere Sachen zurecht, die wir am anderen Morgen mit nach vorne nehmen wollen. Einige Stunden wird noch geschlafen. Der Essenholer, der unsere Verpflegung für den ganzen Tag bringt, ist angekommen. Es ist 3 Uhr morgens. Schnell wird das Brot, Zubrot und Rauchwerk geteilt, noch etwas gegessen und getrunken, als es schon die höchste Zeit wird, den Nachtposten abzulösen. Wir haben noch über eine halbe Stunde zu laufen, müssen aber noch bei genügender Dunkelheit ablösen, weil der Tommy (Engländer) das ganze Vorgelände einsehen kann.

4 Mann, und ich als Führer, brechen auf, melden uns beim Zugführer ab und gehen den Laufgraben entlang, der zu den Stützpunkten führt.

Von jedem Sperrfeuerposten werden wir nach der Parole gefragt. An dem letzten Stützpunkt sind wir vorüber. Der Weg bis zu unserer zerschossenen früheren ersten Stellung, wo jetzt nur die kleinsten Postierungen sind, ist noch weit. Beim Schein der öfters aufsteigenden Leuchtkugeln überzeugen wir uns, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind.

Die Füße werden immer leiser aufgesetzt. Endlich ist der Nachtposten erreicht. Sofort wird abgelöst. Ich übernehme die Leuchtpistole mit den verschiedenfarbig leuchtenden Patronen für Sperrfeuer, Vernichtungsfeuer usw.

Alles ist in Ordnung. Die alte Mannschaft schleicht zurück. Jeder von uns späht nach dem Feinde aus. Alte Granatlöcher werden als Beobachtungsstände benutzt. 15 und mehr geschärfte Handgranaten liegen jedem bereit. Es wird schon recht hell.

Nacheinander hole ich die Leute nach dem kleinen Beton-Unterstand, der trotz der vielen Beschießungen noch allein zwischen den Granatlöchern geblieben ist, uns aber noch gute Deckung gegen Sicht gibt.

Es ist fast taghell. Ein Mann, der stündlich abgelöst wird, beobachtet nur noch. Dicht neben dem Unterstand, zwischen Holzgeröll und großen Erdklumpen, die von den Beschießungen natürlich aufgeschichtet sind, ist sein Beobachtungsstand.

Durch Ritzen und Löcher kann das ganze Vorgelände übersehen werden. In dem kl. Unterstand, wo wir nur etwas gebückt eng zusammensitzen können, wird geraucht und erzählt. Doch wird es aber langweilig, denn wir werden erst in der Abenddämmerung abgelöst. Stündlich geht ein anderer hinaus zum Beobachten. Vor dem Unterstand kann sich höchstens nur ein Mann so aufhalten, daß er nicht gesehen werden kann.

Der Vormittag vergeht ohne Abwechslung. Gegen 4 Uhr Nachmittag macht sich Tommy doch bemerkbar.

Wir waren gerade beim Essen, als einige Lehmklumpen mit Wasser in den Unterstand geflogen kamen. Mit Minen werden wir beschossen. Vielleicht gelten sie auch der alten Stellung. Den Abschuß hören wir jedes Mal genau, und das Geschoß kann man in der Luft fliegen sehen. Die zweite Mine kommt noch näher. Es passiert nichts, denn Tommy schießt in guten Zwischenräumen ab.

Jedesmal, wenn der Beobachter sieht, daß eine Mine auf ihn zugeflogen kommt, flüchtet er in den Unterstand.

Endlich, gegen 6 Uhr, wird es bei uns ruhiger. Die Artillerien bekämpfen sich nur noch. Die Minuten werden nun fast zu Stunden. Der Abend will nicht kommen. Die Lebensmittel sind schon längst verzehrt. Über die erfolglose Beschießung wird jetzt gescherzt. Einzelne Gewehrschüsse hallen schon von drüben, und die Maschinengewehre schießen sich ein zur Nacht. Es dämmert. Alles geht wieder auf seinen Platz wie am Morgen und beobachtet. Die um diese Zeit plötzlich einsetzenden Feuerüberfälle der Maschinengewehre sind wir gewöhnt. Ein Führer und 8 Mann lösen uns jetzt ab. Ich übergebe die Leuchtpistole mit Zubehör und wir schießen, die vielen Granat und Minentrichter ausbiegend, zurück.

Bald haben wir den ersten Stützpunkt, der mit einer stärkeren Besatzung und Maschinengewehren gesichert ist, erreicht. Ich biege ab, um beim Komp.-Führer Meldung zu machen.

Es ist nun bereits 12 Uhr nachts geworden, als wir wieder zusammen in der Höhenstellung sind, und in unserem bequemen Unterstand das Mittagsbrot verzehren.

Gegen 3 Uhr werden wieder Lebensmittel empfangen und geteilt. Nun kommt endlich das Schlafen. Den ganzen nächsten Tag und die Nacht haben wir Zeit dazu, ehe wir wieder auf Unteroffiziersposten müssen.

Ein Sonntag in Serbien bei Dubowak

​

(Mit der 9. Komp. des Res.Inf.Regt. 227)

 

 

Am 28. Oktober 1915 marschierten unsere Kompanien als Reserve der unaufhaltsam vorgehenden ersten Linie nach. Das trübe Wetter trug wohl dazu bei, daß uns der Tornister fast doppelt so schwer wurde als sonst. Stunde um Stunde vergeht bei mittlerem Marschtempo, ohne einer Abwechslung im Gelände oder im Dorf zu begegnen, die sonst so häufig sind. Nicht nur ödes Gestrüpp, sondern die abgeernteten Maisfelder rechts und links des Weges bilden endlich eine Abwechslung in dem hügeligen Gelände. Ein Zeichen, daß Ansiedelungen in der Nähe sind.

Das feindliche Geschützfeuer wird aber ebenfalls deutlicher hörbar.

Gegen 2 Uhr Nachmittag erreichen wir doch ein Dorf, wo wir uns in den Häusern ausruhen. Die erste Schützenlinie scheint ins Stocken gekommen zu sein.

Schrapnellkugeln prasseln auf die Holzdächer der Häuser hernieder. Die serbischen Frauen geben uns Erfrischungen in Form von Wein und Fruchtsäften.

Auch wollen sie uns ein leckeres Mahl bereiten. Hühner werden geschlachtet vielleicht die besten. Eier liegen schon neben der Bratpfanne bereit, um uns als erste Kost zu dienen.

Nur wenige Augenblicke ist uns aber Ruhe gegönnt. Der Marsch geht weiter. Das schöne Essen haben wir leider nur in Gedanken.

Die feindliche Artillerie beschießt das ganze Gelände.

Erst gegen Abend haben wir eine größere Marschpause an einer plötzlich erreichten niedrigen Felswand, wo ein wildes Bächlein rieselt. Kaum sind die Gewehre zusammengesetzt, als alle vor Müdigkeit fast umfallen.

Nur wenige Kameraden hängen den Tornister ab. Die meisten benutzen ihn als Rückenunterlage oder als Kopfkissen. Als die erste Schlaffheit des Körpers überwunden ist, füllt jeder seine Feldflasche mit dem herrlichen Wasser. Das schroffe Kommando „Fertig machen!“ ließ auch hier, wie gewöhnlich, nicht allzu lange auf sich warten. Die Tornister wurden sorgfältiger umgehängt und der Marsch wird fortgesetzt. Durch das eingetretene Regenwetter wird aber der Weg so schlammig, daß die Stiefel bald im Lehm stecken bleiben. Die Dunkelheit nimmt zu.

Man kann kaum noch seinen Vordermann sehen. Viele Kameraden bleiben am Wege liegen, weil sie die fast übermenschlichen Anstrengungen nicht ertragen können. Als der Weg, der sich immer um kleine Hügel schlängelte, bergab führte, hörten wir endlich Hundegebell als Zeichen, daß ein Dorf in der Nähe ist, wo wir vielleicht Quartiere erhalten.

In später Nacht marschieren wir tonlos in das Dorf ein. Die Uniformen sind vollständig mit Lehmspritzer bedeckt.

Nach langem stehen und warten sind endlich Quartiere für uns gesucht. Die besten Häuser sind schon von anderen Kompanien belegt. Ohne Essen und ohne Stroh, durchschlafen wir nun die dunkle Nacht in einem Holzschuppen beiDubowak. Feldwachen sind zur Sicherung des Dorfes aufgestellt.

In der Morgendämmerung des 29. Oktober hat uns endlich die Feldküche erreicht, die eine gefährliche

Fahrt hinter sich hatte. Der Feind besetzte alle umliegenden Höhen. Nur der eine Weg, den wir in der Nacht passiert waren, und der auch unsere Feldküche zum Dorfe führte, war noch weit nach rechts und links vom Feinde frei.

Das Essenholen fällt uns aber schwerer, denn es ist schon so hell geworden, daß der Feind jedes Umherlaufen im Dorfe beobachten kann. Von fast allen Seiten her wird das Dorf unter Gewehr- und Maschinengewehrfeuer gehalten. Unser vorzüglicher Koch wird bei der Essenausgabe am Oberschenkel verwundet.

Unsere Kompanie muß sich fertig machen. Der erste Zug, zu dem ich gehörte, sammelt sich hinter einem Hause. Einzeln huschen wir von Haus zu Haus, bis wir den bergabführenden Hohlweg besetzt haben, den wir am Abend vorher passierten und jetzt noch der einzige

freie Ausweg ist.

Hier, im geschützten Gelände, stehen einige müde Tragtiere der Gebirgs- Maschinengewehr- Abteilung.

Die Mannschaft richtet nach links ihre Maschinengewehre ein. In kurzen Sprüngen gehen wir als Schützenlinie vor und greifen den Feind direkt in seiner rechten Flanke an.         

Die eigenen Maschinengewehre schossen über uns hinweg. Der Feind schießt von links und von vorn auf uns. Im hellsten Pfeifen so vieler Gewehrkugeln hin und her, überklettern wir Zäune und viele Hindernisse, bis wir endlich in eine andere Schlucht an Dorfausgange ankommen. Nun lagen wir dem Gegner mit gleicher Front gegenüber. Die erste Stellung des Gegners am Fuße der Höhe, war schon verlassen.

Weitere Stellungen konnten wir von hier aus nicht sehen, weil der mit niedrigem Gestrüpp überzogene Hang ziemlich hoch war. Wir stürmten die Höhe und überrannten noch zwei Stellungen, deren letzte der Höhenrand bildete.

Aber doch ganz langsam kamen wir oben an. Abgeerntete Maisfelder mußten wir überschreiten, deren Lehmboden sehr aufgeweicht war. Die abgeschnittenen harten Maisstengel, die in etwa 20 – 30 cm Länge aus der Erde ragten, bildeten uns ein natürliches Hindernis. So kommen wir endlich doch mit schweren Lehmklumpen an den Stiefeln oben an.

Wie üblich hatten wir das Seitengewehr aufgepflanzt, das Gewehr dann umgehängt und die Daumen beider Hände zur Erleichterung des Gepäcks unter die Tornisterriemen geklemmt.

Fluchtartig war der Feind verschwunden. In den verlassenen Schützenlöchern lagen viele Tote, viel Munition und Gewehre.

Die Toten, das Gewehr meistens noch im Anschlag haltend. Im nächsten Tale hatten sich viele Serben versammelt, die sich ergeben wollten, indem sie weiße Tücher schwenkten. Wir schossen nicht, konnten aber auch den Gegner nicht erhaschen, weil unsere Artillerie zu kurz schoß. Erst nachdem wir Leuchtkugeln abgeschossen hatten, wurde das Artilleriefeuer eingestellt. Der Feind hatte unsere Lage erkannt, und

benutzte die Gelegenheit, wieder zum Gewehr zu greifen und sich zurückzuziehen.

Knieend und stehend – freihändig sanden wir nun unsere Kugeln nach. Beim Säubern des Tales machten wir doch noch Gefangene und erbeuteten Pferde, die herrenlos umherliefen.

Jeder von uns eilte, und wählte sich selbst seinen Weg auf seine Leute zu. Das harmlos aussehende, zum Teil bewaldete Tal, war aber eine wilde Felsschlucht.

Die Kompanie war ganz auseinander gekommen.

Es dauerte lange, bis jeder die Schlucht überwunden hatte. Erst am Spätnachmittag war alles soweit zusammen, daß vor dem nächsten Höhenrand eine Schützenlinie hergestellt werden konnte.

Ausgeschwärmt blieben wir aber hier liegen, denn wir bemerken zu unserem größten Erstaunen eigene Truppen vor uns. Wir sind in einen anderen Kompagnie Abschnitt gekommen, und somit war unsere Arbeit für andere bestimmt. Bis in die späte Nacht hinein stolpern wir noch im Gänsemarsch auf die schmalen Feldwege entlang, ehe wir unseren richtigen Platz erreichen. Starke Regengüsse haben sich inzwischen eingestellt. Auf einer kahlen Höhe graben wir uns ein. Der Feind liegt dicht vor uns. In unseren Schützenlöchern müssen wir mit durchnäßten Kleidern übernachten, um bei Morgengrauen, wie üblich, weiter vor zu gehen.

Jedes müde Auge späht sehnsüchtig nach den Tragtieren aus, die uns in der Nacht in den Kochkisten warmes Essen bringen sollen.

Auch nicht ein Tragtier findet uns. So müssen wir auch heute wieder ohne Brot bleiben. Der österreichische Führer unserer Tragtiere kann uns unmöglich finden. Es ist stockfinstere Nacht, und ein Sonntag.

Man denkt an die Heimat, wo vielleicht an manchem Stammtisch auf das Wohl der Feldgrauen getrunken wird.

Ruhetage in Serbien mit R.I,R. 227

 

                       

Ein Sprichwort sagt „Nach Regen folgt Sonnenschein“. – Ähnlich erging es auch dem Regiment. Bei der Offensive durch Galizien ergingen schwere Tage über uns. Täglich vorwärts war die Losung. Doch als die großen Sümpfe bei Pinsk erreicht waren, kam der hohe Befehl „Zurück“. Wir wurden abgelöst und marschierten in bester Stimmung über Iwanow, Kobrin nach Brest-Litowsk zurück, um von hier aus die Bahn zu benutzen. Polen wurde durchquert und bei Oderberg fuhren wir über die österreichische Grenze. Keiner wußte wohin es geht. Erst als die Hauptstadt Wien passiert war, merkten wir, daß wir nach dem serbischen Kriegsschauplatz kommen.

Herrlich war die Bahnfahrt. Immer wieder boten sich andere Naturbilder.

Bei der Fahrt an der Donau entlang sah ich die schönsten Landschaften. In der ungarischen Stadt Arad hatte unser Zug langen Aufenthalt, wo unser Transportführer erlaubte, in die Stadt zu gehen, wer noch etwas zu kaufen hätte. Alle gingen natürlich fort.

Die Bewohner, die zum ersten Male deutsche Soldaten in ihrer Stadt sahen, begrüßten uns sehr herzlich und kauften uns auf dem Wochenmarkt allerlei Obst usw. Die schönen Stunden gingen aber schnell vorüber und der Zug brachte uns weiter nach Süden. Werschetz war unsere Endstation. Wir setzten uns von hier aus in Marsch. Riesige Berge mit Burgen lagen vor uns, die Südabhänge Weinberge.

Ungarische Frauen und Mädchen, die mit der Weinlese beschäftigt waren, reichten uns im Vorbeimarsch die schönsten Trauben.

Bald war das große Dorf Groß Soham (Naci Zooham) erreicht. Mitten im Dorfe wird „Halt“ gemacht, und wir bekommen zu unserem Erstaunen wieder schöne Bürgerquartiere angewiesen.

Bei einem Schneidermeister, der wie alle Bewohner im Orte, eigenen Wohnsitz mit Landwirtschaft und einen Weinberg hat, erhielt ich Quartier. Recht herzlich wurde ich aufgenommen und gut bewirtet. Alle Bewohner hier in Siebenbürgen sprechen hochdeutsch. Die beste Unterhaltung wurde immer aufrechterhalten. Trotzdem ich von der Komp. verpflegt wurde, bekam ich von meinem Quartiergeber reichlich Wein, Milch, Tomaten, Weintrauben usw.

Der fröhliche Gesang von den Leuten war uns deutschen Soldaten neu. Von allen Seiten wurde uns gesagt, daß wir ebenfalls vergeblich gegen die serbische Donaustellung anrennen würden. Die Leute waren aber glücklich über die von Kaiser Wilhelm gesandte Hilfe. Dies drückte besonders der Dorfpfarrer aus, der uns einen Feldgottesdienst abhielt, an dem auch ich zivil teilnahm.

Kaum eine Woche lang behielten wir die schönen Quartiere. Am Tage vor dem Abrücken war noch eine interessante Bat.-Übung. Nach Beendigung derselben machten wir im Nachbardorf einen Halt. Alle Leute, Jung und Alt, waren unterwegs, um uns zu sehen.

Mit Lebensmitteln und Erfrischungen aller Art wurden wir reichlich beschenkt. Während dem wir einige frohe Lieder gesungen hatten waren wir auch alle mit Blumen geschmückt. Beim Verlassen des Dorfes wurde kräftig ein Marschlied angestimmt. Den meisten Leuten, denen wir Lebewohl sagten, standen die Tränen in den Augen. Schöne Mädchen, mit ihrer eigenartigen Tracht, begleiteten uns bis zu den Quartieren. Ungefähr in gleicher Weise verließen wir am nächsten Tage unsere Quartiergeber.

Der Weg führte uns über Werschetz zurück, wo wir bald in das Steppengebiet kamen. In einigen Tagen hatten wir die Donau erreicht. Hier konnten wir uns nicht mehr mit den Quartiergebern verständigen. Sie waren bös gesinnte Zigeuner. An einem Abend marschierten wir über die Donauwiesen, und in der Nacht wurden wir in Kähnen übergesetzt. Der erste Übergang war schon am Morgen vorher von anderen Truppen erzwungen.

Am anderen Morgen ging es über die Donauinsel (Zigeunerinsel). Gegen 10 Uhr war das erste serbische Dorf erreicht.

Im nächsten Orte, weiter südlicher, erhielten wir Quartiere in einer Maismühle. Herrenlos umherlaufende Schweine, Hühner usw. wurden geschlachtet und zuletzt verzehrt.

Nach kurzer Zeit wurden wir eingesetzt und gingen fast täglich stürmend in südlicher Richtung vor. Andere Gegenden erreichten wir. Die Berge wurden immer höher und die Täler immer schöner. In einem Dorfe im Marmaratale, dessen weiße Häuser von weitem gesehen wie Spielzeug an einem Abhang klebten, quartierten wir uns ein, wir üblich, jede Gruppe in ein Haus.

Weil uns die Feldküche und der Lebensmittelwagen nur selten erreichten, mußten zuerst Essenwaren besorgt werden.

Der Hühnerfang war am bequemsten.

Jeder besorgte sich ein Huhn und machte es fertig zum Kochen. Das Ausnehmen bot uns schon längst nicht mehr die Schwierigkeiten als in der ersten Zeit. Jede Galle wurde vorsichtig von der Leber befreit und sogar jeder Hühnermagen mitgekocht. Zufällig fanden wir einen großen Topf, eine Art Kessel, worin alle 9 Hühner gekocht wurden. Jeder wollte sein Huhn wiedererkennen.

Einer hatte das Hinterteil abgeschnitten, ein anderer der Bequemlichkeit halber sein Huhn ganz abgezogen, der Dritte, der es beim Einfangen erschlug, erkannte es an den großen blauen Flecken auf dem Rücken wieder, und der Vierte hatte vielleicht ein Hähnchen. Gemeinschaftlich wurde dann das Mahl eingenommen, die mitgekochten Lebern und Magen aber doch verwechselt. Anstatt Wein gab es diesmal die schöne Bouillon, denn der Koch hatte das Salz nicht vergessen und die beigegebenen Zwiebeln und einige Eier gaben dem Ganzen einen wunderschönen Geschmack. Das letzte Brot wurde dazu gegessen. Am anderen Tage gab es erst Brot. Für Zubrot mußte nun noch gesorgt werden.

Wir schlachteten einfach ein Schwein, kochten uns genügend Fleisch, und mein Kochgeschirr wurde mit ausgelassenem Schmalz gefüllt. Als wir nun am anderen Morgen das Dorf verließen, war das Schmalz so fest geworden, daß ich das Kochgeschirr mit dem Deckel verschlossen, auf den Tornister schnallen konnte. Kaum waren wir aber eine Stunde marschiert, als es schon recht warm wurde. Mein Kochgeschirr wurde ebenfalls fast heiß, und so dauerte es auch nicht lange, bis das weichgewordene Schmalz aus dem Kochkessel heraustropfte, und bei der nächsten Marschpause merkte ich erst, daß schon die ganze Tornisterklappe, Rock, Hose und Stiefeln mit Schmalz getränkt waren. Die Hosen glänzten übrigens schon vom Schmutz, Fett usw.

wie die alte Schürze eines Schlächters.

Es konnte ja auch nicht anders sein. Gutes Essen war bei den anstrengenden Märschen die Hauptsache. Sogar während dem stürmenden Vorgehen in erster Linie wurde gelegentlich für den Magen gesorgt. Beim flüchtigen Durchsuchen eines Hauses während dem Vorstürmen fand ich mit einem Kameraden ein am Spieß gebratenes Schweinchen. Jeder schnitt sich eine Keule ab und verzehrte sie in der Schützenlinie. Also mit gekochtem Schinken in der Faust verfolgten wir den Feind.

Wuttli  [Anm. vermutlich ein Nationalgetränk] oder Wein fehlte uns nur selten in der Feldflasche.

Im schönen Moravatale hatten wir an einem Tage vor Einbruch der Dunkelheit eine längere Marschpause in einem Dorfe. Schon längere Zeit waren wir ohne Brot. Im Dorfe war auch nichts Essbares zu finden. Viel Bienen umschwirrten uns aber, sie suchten vielleicht ihr nahes Heim auf. Bald war auch von uns das Bienenhäuschen entdeckt. Die großen Mengen Honig holten wir mit dem Seitengewehr aus den Kästen heraus, was aber so mancher mit verschiedenen Bienenstichen bezahlen mußte.

Beim Weitermarsch hatten fast alle ein großes Stück Wabe in der Hand, woraus jeder den guten Honig sog. In der Dunkelheit konnte aber niemand mehr den Honig vorsichtig halten. Die Süßigkeit verteilte sich infolge dessen über beide Hände und zum Teil auf die Ausrüstungsstücke.

Alles klebte, wie vom Fliegenleim bestrichen. Der Magen, dem doch alles galt, bekam aber seine Schmerzen davon, und er war so lange krank, bis er etwas anderes zum Verdauen bekam. Schon im nächsten Quartier fand sich etwas besonderes. Ein Kamerad findet ein Päckchen mit Kakaupulver. Etwas anderes konnte kaum darin enthalten sein, denn der Inhalt sah genauso aus und hatte auch denselben Geruch. Nun mußte Kakau gekocht werden. Die Kameraden in der Gruppe, die noch Zucker von irgendwo her hatten, gaben denselben dazu, und ich fand zufällig noch Milch. Sofort ging es an die Arbeit, denn beim Kochen war jeder behilflich. Alle freuten sich schon auf den schönen Trunk. Zuerst werfen wir den zusammengesuchten letzten Zucker, der in Serbien immerhin selten zu finden war, in die kochende Milch hinein, und zuletzt mischten wir den Kakau bei. Zu unserem Erstaunen wurde aber die Milch ganz flockig. Wir kosteten trotzdem, mußten aber feststellen, daß es wohl kein Kakaupulver gewesen sein konnte. Nun wurde die Packung untersucht, und wir entnahmen aus der serbischen Aufschrift, daß es ein Arzneimittel gewesen sein muß. Die Freude war nun vergebens, und wir ärgerten uns über die verbrauchte Milch und über den Zucker, den wir sonst zu einem schönen Glühwein verwendet hätten. Oft gings eben auch verkehrt.

An fast allen Ruhetagen hatten wir schöne Quartiere. Die Bewohner wurden oft recht zutraulich. Bei unserem Rückmarsch aus Serbien faßten die Leute die Einquartierung schon als ganz selbstverständlich auf. Sie ließen sich in keiner Weise in ihrer Beschäftigung stören.

Manche Mutter schaukelte, bei unserem Eintritt in die Stube, ihr müdes Kind ruhig weiter zum Schlafe ein. Die Männer besorgten uns oft Waschwasser, und die Frauen säuberten gelegentlich freiwillig unsere Kochgeschirre.

Sogar für das offene Herdfeuer, worauf alle Serben kochten, war oft genügend Holz für uns bereit gelegt, und zum Kochen wurden uns Gefäße usw. geliehen. Wenn wir vom Regen durchnäßt in die Quartiere kamen, war oft alles beim Trocknen der Sachen behilflich. Manche Quartiergeber, gewöhnlich einzelne große Frauen, wollten uns dagegen den Eintritt in ihr Haus verbieten.

Befehlsgemäß mußten aber solche Häuser doch belegt werden, und die Frauen mußten den Kürzeren ziehen. Meistens verließen solche Leute ihr eigenes Haus und wohnten mit anderen Leidensgenossen zusammen, wo dann über die Deutschen geschimpft wurde.

Oft hat es mir leid getan, die Leute zu beobachten, die so plötzlich in ihrem Frieden gestört wurden. Von denen wird sich aber niemand mehr nach Krieg sehnen, trotzdem die Männer alle wilde, zähe Soldaten waren.

Das Letzte, was ich mir aus Serbien mitnahm, war ein Büchse voll Schmalz und eine Feldflasche voll Wein.

Die Erinnerungen an den serbischen Bewegungskampfe sind doch viel hübscher als die an den Stellungskrieg in Frankreich und Rußland. –

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