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Erinnerungen Richard Glaubig

Der Text ist in den Lyrics des Players zu lesen, als auch unter dem Player lesen 

Schnellin

Am Nordrand der Dübener - Heide ist ein kleines Bauerndorf mit Namen Schnellin. Es liegt an der Grenze zwischen Heide und Elbaue.
Dort wurde ich im November 1890, sonnabends, zwei Tage nach dem Geburtstag meiner Mutter, die 30 Jahre alt wurde, geboren. Mein Vater hatte einen kleinen Bauernhof. Das Wohnhaus bestand aus Lehm und hatte dicke Wände, es machte aber von außen gesehen sowohl auch innen, einen sehr guten und freundlichen Eindruck.
Zum Hausflur führten 3 Stufen.
Geradeaus befand sich die Küche mit Waschkessel, Backofen, Keller und Mädchenzimmer. Im hinteren Teil der Ausguss, die Abwaschvorrichtung und das Eimergestell. Daneben die Milchkammer mit den Satten, Butterfass, Kannen usw.
Die Feuerung in der Küche stand mit dem Kachelofen in der Stube in Verbindung. Die große Wohnstube hatte breite, blank gescheuerte Die¬lungsbretter, die stets mit weißem Sand bestreut waren. 2 Fenster gingen nach der Dorfstraße und 2 nach dem Hof bzw. Hofgarten hinaus. Neben der Stube war das Schlafzimmer der Eltern.


Geigenspiel

Vom Flur aus führte eine kleine Treppe zu einem kleinen Zimmer, wo wir Jungens schliefen. In diesem Hause habe ich mit meinem Bruder und meiner Schwester die schönsten Jugendjahre verlebt.
In den Wintermonaten wurde bei der Petroleumlampe gebastelt und Laubsägearbeiten fabriziert.
Auch eine kleine Geige habe ich gezimmert aus einem Brett mit aufgespannten Zwirnsfäden. Der Geigenbogen, ein Stock mit Rosshaaren bezogen. Aber ein richtiger Klang kam nicht heraus beim Spielen.
Auf Musik war ich ganz versessen.
Wenn gegenüber im Gasthof Tanz war, habe ich den Geigenspieler nicht aus den Augen gelassen.  - Als mein Vater dies merkte, überraschte er mich mit einer kleinen Geige für 3 Mark zu Weihnachten. Das war die größte Freude, die er mir bereiten konnte. Der Gastwirtssohn Robert hat mir die kleine Geige zurechtgemacht, eingestimmt und mir Anleitung zum Spielen gegeben. Robert, der noch Musiklehrling in Bad Schmiede¬berg war, kam des Öfteren, wenn er Urlaub hatte und kontrollierte mein Spiel.
Aus der 3 Mark Geige wurde bald eine 15 Mark Geige mit Kasten und dazu eine Geigenschule. Das erste Lied daraus war: „Bald gras ich am Neckar.“
So ging es immer weiter. Allmählich bekam ich Routine und spielte an den Sommerabenden vor der Haustür, alle Volkslieder, die in der Schule gesungen wurden. –

Unseren Eltern mussten wir tüchtig zur Hand gehen. Wenn die Mutter sagte: „Richard, nimm den Korb mit den kleinen Gänsen und bring sie hinter den Garten auf die Wiese," dann freute ich mich. Die kleinen feinen Gänschen guckten mich so freudig an, genau wie ich sie ansah, die alte Gans rannte nebenher. 
Während sie dann herumliefen, konnte ich am Bächlein aus Weidenholz Wassermühlen bauen. Auch Talsperren habe ich errichtet, und abgeklopfte Weidenrohre in den Damm gesteckt und das Wasser auf das Mühlrädchen laufen lassen. Es war lustig anzusehen. Daneben die kleinen Gänschen.
Trillerpfeifen und Schalmeien aus abgeklopfter Weidenrinde umrahmten das ganze Idyll. Das waren die schönsten Stunden für mich.

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Die Gänschen und die Trillerpfeife

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Die Mutter sagt: Jung, geh hinaus
und bringe mal die Gänschen raus
Hiele, hiele, hiele, hiele
Ich bau mir eine Mühle
Sie soll sich drehen fort und fort
Ihr Gänschen bleibt an diesem Ort!

Am Bächlein wo das Wasser fließt
Wo´s grüne Gras am schönsten spießt
Im ihm sind bunte Steinchen auch
Daneben steht ein Weidenstrauch.
Die alte Gans war sehr gescheit
Ging mit den Gänslein auch nicht weit.

Auch will ich noch 'ne Pfeif abdrehn
Vom Weidenstock ich will mal sehn
Ob sich die saft'ge Rinde löst,
Mit zartem Klopfen sich entblößt ?
Ich sag dazu; "schiebab schabab
Du Pfeifchen gehe glücklich ab!"

Und wenn der Abzug dann geglückt
Wird er mit einem Loch bestückt
Ich stecke noch 'ne Erbse rein
Dann trillerts wie ein Vögelein
Dabei die Gänschen in der Hut
Die Mutter meint, so war es gut.

​

Ein großer Weidenbaum, der am Bach stand, war der Materialversorger.
Oft ging es dabei auch in den Finger, wenn das Messer einmal abrutschte. Nicht nur Wassermühlen, sondern auch Windmühlen wurden aus Holz und Strohhalmen angefertigt. Alles drehte sich im Wind und Wasser.
In dem klaren Wasser sah man jeden Kieselstein, auch Stichlinge waren manchmal da, die wir, mein Bruder und ich, mit dem Taschentuch gefangen haben. Dazu wurden die Hosen aufgekrempelt.

Schmetterlinge

Auch bunte Schmetterlinge und Käfer haben wir gefangen, präpariert und in mit Papier ausgeklebten leeren Bücklingskisten, unter Benutzung von Korkscheiben, aufgesteckt. Darüber kam eine Glasscheibe.
Die Sammlung befindet sich noch heute in der Schloßstraße 32, die Willi und Gerhard erweitert haben.

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Die Enten

Die Landwehr 3 m breit und durchschnittlich 20 - 30 cm tief fließt unmittelbar hinter dem Garten vorbei. Das Wasser ebenfalls klar, zum Teil mit wedelnden Ranken der Wasserpest durchwachsen. Hier hatten die Enten ihren Lieblingsaufenthalt. Frühmorgens watschelten sie durch den Garten und kamen am späten Nachmittag wieder zurück. Manchmal aber blieben sie doch zu lange und wir mußten an der Landwehr entlang stromabwärts die
Weißgefiederten suchen und zurücktreiben. Es kam auch vor, dass sie unterwegs in einem Gestrüpp ein Ei gelegt hatten.
In der Landwehr gab es wenig Fische. Ein paar kleine Hechte und Krebse konnte man mit dem Käscher fangen.
Große Leinenstücke aus selbstgesponnenem Flachs waren auf der Wiese von meiner Mutter zum Bleichen aufgespannt. Jede 2. Stunde mussten wir sie begießen und besonders aufpassen, dass die Gänse nicht darüber liefen, was sie zu gerne taten. 
Die Abdrücke der schmutzigen Pfoten mussten so schnell als möglich entfernt werden. 
Die Leinenstucke waren 3-4 Wochen auf der Bleiche, bis sie weiß genug waren.

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Der Teich

5 Minuten nach rechts ist der Badeteich, der natürlich keine große Tiefe hat. Das Wasser ist klar und warm im Sommer. Das kleine Bächlein, von dem ich schon erzählte, fließt in den Teich. Im Winter war er der Tummelplatz für Schlittschuhläufer und Eisrößchenfahrer. Einmal bin ich mit dem Eisrößchen in voller Fahrt zu weit gefahren bis zum Kalmus und Schilf, wo das Eis durch den Zufluss dünner war, und bin eingebrochen.
Mit nassen Lumpen gings schnell nach Hause und alle Kinder liefen mit, und das Vergnügen für den Tag war aus.
Zu Fastnachten gings mit dem Pferdeschlitten und Schellengeläut im Galopp 2 Dörfer weiter nach Merschwitz. Onkels, Tanten und Cousins trafen sich dort und es gab viel zu erzählen. Auch wurde natürlich tüchtig gespeist.
Ebenso waren die Gegenbesuche.
Es sei noch gesagt, daß in 3 km Entfernung auf Trebitzer Flur 3 alte Windmühlen standen in gleichmäßigem Abstand, von denen eine nur noch 2 Flügel hatte. Bei gutem Wind war sie trotzdem noch im Betrieb.

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Einkauf in Kemberg

Da ich der ältere von uns Brüdern war, musste ich oft zum Einkaufen nach Kemberg zu Onkel und Tante Glaubig gehen. Fahrräder gab es damals noch nicht. Der Weg, 6 km an der Markwitzer Windmühle vorbei, über die Zwergesberge durch das Dorf Gaditz war für mich nicht recht geheuer. In den Zwergesbergen sollte es spuken. Gesehen habe ich nichts. Es standen auf kleinen Sanddünen vereinzelt kleine Kiefern. In der Dämmerstunde sah alles gespenstisch aus. Durch Gaditz war es ebenso unangenehm, da die Gaditzer Jungens mich verhauen wollten. Der Einkaufszettel lag im Kober.
Man denke sich ein Militär Kochgeschirr doppelt so groß aus Korbgeflecht. In dem Deckel war an beiden Seiten ein Loch, wo der Tragestrick durch¬ gezogen war, somit konnte der Deckel nicht verloren gehen. Vom Onkel bekam ich stets Bonbons.
Die Geigensaiten kaufte ich im Buchbinderladen.

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Molkerei

Als ich ungefähr 10 Jahre alt war, wurde 1898 in Trebitz eine Molkerei gebaut und die Molkerei Genossenschaft gegründet. In Schnellin waren es 4 Bauern, die ihre Milch dorthin schafften. Als die anderen Bauern sahen, dass die Molkereibutter viel feiner und sauberer war und dadurch für die Bauersfrau viel Arbeit gespart wurde, traten sie alle bei.
Dort in der Molkerei habe ich damals die erste elektrische Lampe bren¬nen sehen, eine
Kohlenfadenlampe.
Die tägliche Ablieferung der Milchkannen geschah so: Der Milchwaggon, der dem Dorfe gehörte, wurde abwechselnd von den Bauern zur Molkerei gebracht.

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Rappo, der Hofhund

Mittags, wenn die Schule aus war und wir das Hoftor passierten, bellte uns Rappo an, dessen Hütte mitten im Hof stand. Er freute sich, dass wir wieder da waren und wir erwiderten sein Gebelle mit Pa, pi, pä und dem Familienpfiff.
Nach dem Mittagessen wurden die Schularbeiten prompt und sehr sauber ausgeführt. Das Lernen fiel uns Dreien nicht schwer.
Wenn wir mit allem fertig waren, mussten wir helfen. Auch Rappo mußte mit. Er brauchte nur sein Kummet zu sehen, dann war er aus Rand und Band. Rappo war stolz, dass er den Wagen ziehen konnte. Im Galopp gings die Dorfstraße entlang um viele Ecken. Ich saß in dem Wagen und lenkte mit den Beinen und landete manchmal in dem Straßengräben. Zurück war der Wagen beladen mit Grünfütter und die Fahrt ging langsamer.
Rappo spielte mit der jungen Ziege. Die Ziege polterte über seine Hütte. Rappo biss sie in die Beine.

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Großmutter

Gegenüber vom Wohnhaus über den Hof hinweg stand ein langes Stallge¬bäude, an dessen Straßengiebel das Auszugshaus unserer Großmutter war.
Damals war sie über 80 Jahre alt. Sie lebte sehr einfach, aber der Bohnenkaffee durfte nicht fehlen. Zum Zerkleinern der Kaffeebohnen hatte sie einen ovalen Stein und einen Lederlappen. Der stark aufgebrühte Kaffee duftete uns in die Nase wenn wir uns auf dem alten Sofa wälzten. Von ihrer Küche aus konnte man durch eine kleine Laube in den Garten gehen. An der Dorfstraße entlang am Stacket standen ein großer Rosen-Centifolien-Strauch und auch die damals noch ganz seltene Rhabarberstaude. Der Onkel aus Leipzig, Lenis Vater, entnahm die Stengel und erklärte, daß diese ein gutes Kompott geben. Von da an hatte jeder Bauer in seinem Garten eine Staude. Der Rhabarber stammt aus Tibet.
Von dem Rosenstrauch stehen heute noch Ableger im Garten Stalinstr. 11.

Weintrauben

Der Garten zog sich von der Straße aus am ganzen Stallgebäude entlang und noch darüber hinaus. An der Stallwand war ein langes Weinspalier.
Wir konnten es gar nicht erwarten, bis die Weintrauben reif waren. Die Wand war erwärmt durch den Kuh- und Pferdestall, sodass die Trauben gut reiften. Alle Tage ging es ein paarmal dorthin. Er hat uns allen gut getan. Wenn ein Jahrgang sehr ergiebig war, wurde auch Traubenwein angesetzt.
Große Spinnen-Netze „Kreuzspinne“ sorgten dafür, das die Fliegen und Wespen die schönen süßen Trauben nicht berührten. Die Spinnen-Netze sind von uns verschont worden.
Einmal hatte ich mit meinem Bruder hinter der Scheune ein kleines Feuerchen angelegt. Meine Schwester, die das gesehen hatte, erzählte es meinem Vater. Da hatte ich furchtbare Kloppe bekommen.

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Apfelkerne

Im Garten standen viel Pflaumen-, Birnen- und Apfelbäume.
Ein kleines Beet hatte ich auch, aber nicht mit Gemüse und dergleichen. Mein Sport sollte sein, die Apfelkerne aus den Äpfeln zu sammeln, um sie im Frühjahr auszusehen. Das war aber falsch. Die Kerne, die ich im Frühjahr dann aussäte, sind nicht aufgegangen. Sie waren trocken geworden.

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Die Stunden in Trebitz

Der Pfarrer Kaiser aus Trebitz besuchte des öfteren die alten Leute, so auch unsere Großmutter. Da fragte er sie einmal, was ihre Enkel einmal werden wollten. Da antwortete sie, dass ich keine große Lust hätte, Bauer zu werden. Der Pfarrer schlug vor, ich sollte nach Wittenberg zur Mittelschule kommen. Er würde mir Nachhilfestunden in franzö¬sisch und Englisch geben. So ist es auch gekommen. 1/2   Jahr bin ich 2-mal wöchentlich nach Trebitz gegangen. 1903 kam ich dann in die Mittelschule und hatte ein Zimmer bei Hildebrands.
In Trebitz bin ich 1905 konfirmiert worden.

Schmiedeberg

 Nach der Schulentlassung hatte ich eine Lehrstelle in Schmiedeberg bei einem Drechslermeister. Da ich doch viel Holz würmeriges fertig gestellt habe, meinte mein Vater, dass dies das Richtige sei, Drechsler zu werden. Ich fing als Drechslerlehrling an und war 1 1/2 Woche dort.

Als Erstes musste ich Holz spalten. Große Baumstämme lagen auf dem Hof. Davon war die Rinde abzuhecken. Der Geselle war mir sehr unsympathisch.

Auch war ich Laufjunge. -

In derselben Straße wohnte der Musikdirektor (Stadtpfeifer). Ich sah so sehnsüchtig die Lehrjungen mit ihren Instrumenten vorbeigehen. Am Sonntag, als ich nach Hause fuhr, erzählte ich alles meinem Vater.

Am Montag ist er gleich mitgekommen und hat beim Musikdirektor ange­fragt, ob er wohl noch einen Lehrling annähme, was er bejahte.

Nun ging mein Vater zum Drechslermeister und trug ihm das vor, womit dieser nicht sehr einverstanden war. Die Probezeit war noch längst nicht um.

So kam ich dann in die Musiklehre. Als Prüfung spielte ich ein Volks­lied. Die Geige bekam ich von dort. Es wurde der Lehrvertrag aufge­setzt. Die Lehrzeit lautete 4 1/2 Jahr. Anzüge selbst halten, freies Essen ohne gegenseitige Vergütung. Bett und meiner Großmutters kleines

Schränkchen war mein Eigentum. Der Musikdirektor wohnte im Vorderhaus an der Straße und die Lehrlinge im Hinterhaus. Der untere Raum war das Probezimmer. Alle 20 - 25 Jungens wohnten darüber. Einer, bzw. Zwei hatten ein kleines Stübchen, worin jeder sein Bett, Instrument usw. hatte.

Früh um 6 Uhr läutete die elektrische Glocke zum Aufstehen. Dann hieß es unten im Waschraum waschen im kalten Wasser. Manchmal schwammen noch Eisstücke im Waschbecken.

Im Probesaal befand sich nur eine Petroleum-Hängelampe. Meist mussten die Jüngsten Kartoffeln schälen.

Auf dem kleinen Hof standen ein Reck und ein Barren. Auf dem Sims der sehr hohen Mauer waren Glassplitter eingemauert. Damit niemand über­ setzen konnte.

Ich hatte Glück, im Anbau zu wohnen, der noch fast neu war. Im alten Gebäude waren Wanzen. Einmal im Jahr kamen alle Bettgestelle auf den Hof und wurden mit Heringslake eingepinselt. Danach gab es Urlaub, da­mit sich der Geruch inzwischen verzog.

An unseren Zimmern entlang war ein langer Korridor. In jeder Tür war eine kleine Glasscheibe. Der einzige vertrauensvolle Gehilfe konnte uns somit jeder Zeit vom Gang aus in unseren Zimmern beim Einzelüben kontrollieren. Meine erste Aufgabe bestand darin, Violinschlüssel im weiteren Umfang zu lernen und wochenlang Doppelgriffe zu üben, bis der

Klang rein war.  - Stehend -

Nach 2 Wochen musste ich schon Tanzmusik mitspielen. Schab, schab.

Freitags und Sonnabendvormittag wurde dazu geübt. Violine 1, 2 und Bass.

Zu den Gesamtproben musste ich zuerst die große Trommel schlagen. Es war sehr langweilig, die vielen Pausen zu zählen. Diese Proben waren für das Kurkonzert.

Nun hatte ich noch kein Blasinstrument. Da bekam ich ein altes verblasenes Horn in die Hand. Ich musste so lange üben, bis doch ein Ton kam.

Das dauerte auch nicht lange. Es ging über Land zu Fastnächten usw.

Das war eine Traktur. An der Oberlippe bildete sich eine rote Kirsche. Später wurde die Lippe hart und es ging leichter. Trotzdem kam mir der Gedanke, Drechsler zu werden, nicht mehr in den Sinn.

 

Viola 

Nach 2 Jahren Lehrzeit bekam ich eine Viola in die Hand gedrückt mit dem Bemerken: "Das wird dein Hauptinstrument."

Erfreut war ich nicht darüber. Ich musste auf Altschlüssel umlernen. Dazu hatte ich keine Lust.

Violinspieler gab es genug.

Ich bekam von einem älteren Kollegen Unterricht. Das Üben und Notenlesen ging von neuem los. Das Instrument wurde doch hauptsächlich zu Konzerten besetzt. Viel geübt habe ich nicht. Aber durch die vielen Gesamtproben ging es dann doch. Die Proben haben mich immer sehr ermüdet. Einmal habe ich bald geschlafen und bin dabei vom Schemel gefallen. Die Kolle­gen haben mich ausgelacht. Eine Petroleum-Lampe für 20 Lehrlinge ist wohl doch ein bisschen zu wenig, wenn man die Noten nicht richtig sehen kann, strengt es doppelt an. Alle Tage von 6 Uhr - 19 Uhr auf dem Sche­mel sitzen.

Da hat meine Mutter sehr recht gehabt, als sie einmal sagte: "Junge, du hast doch kein Sitzefleisch."

 

Blasinstrument 

Das Hornblasen war nur ein Übergang zu anderen Blasinstrumenten. Je nach Ljppenform, Trompete, Tenorhorn oder Baß. Meine Lippen paßten für Tenor oder Baß. Für Tenorhorn fehlte mir die Höhe, sodaß ich Ventilposaune dann Helikon und das letzte Jahr Tuba als Haupt Instrument hatte. Das hat Freude gemacht. Hauptsächlich beim Turmblasen. Im Sommer jede Woche einmal.

In den Sommersaison hatten wir jede Woche 2 Kurkonzerte zu spielen.

Anzug schwarz und steifen Hut.

 

Tanzmusik

 Außer Kurkonzerte, Turmblasen und Festlichkeiten in der Stadt mussten wir viel über Land zu Fuß. Manchmal 2 Stunden weit, um Tanzmusik zu machen. Meistens 3-5 Mann. Den Streichbass mussten wir abwechselnd tra­gen, jeder eine bestimmte Strecke. So mit dem Zuge nach Globig, dann weiter nach Wartenburg. Früh zurück bis Bahnhof Globig. Dort 2 Stunden gewartet im Freien und kalten, bis der erste Zug kam.

Nach Trebitz ging es gewöhnlich zu Fuß. Am Tage, wenn das Wetter gut war, ging es ganz gut. Nachts beim Mondschein am Golmer Berg vorbei, durch das Koboldloch. Die Unterhaltung hörte dort auf. Jeder graulte sich und war froh, wenn wir erst durch waren.

In Trebitz waren 2 Gasthöfe. Der Besitzer des einen war ein Isegrim. Er hatte immer nur Meckereien. Wenn er geschlachtet hatte, hat er eine extra Wurst für die Musikanten machen lassen. Die war so zähe, dass man die Stücken an die Wand werfen konnte und sie wieder ganz zurückprällten.

Er hat uns jedes Mal mit schiefem Auge angesehen. Hingegen der andere am Dorfrand hat uns immer gut bewirtet. Zum Schluss gab es gewöhnlich Pfann­kuchen. Die Menschen der Heidedörfer waren uns immer gut zugetan. -

Einmal haben wir das morgens einen Pflugkarren, der an der Straße stand, eine halbe Stunde weit gezogen und dann stehen lassen.

 

Verbot

 Es war streng verboten, während der Tanzmusik zu tanzen. Wenn das her­ auskam, bekam derjenige auf längere Zeit keine Freizeit mehr. Aber ein­mal habe ich es doch riskiert, es war in Patschwig, dicht bei Schmiedeberg. Bei Tanzbeginn war niemand im Saal nur ein Schmiedeberger Brauereibesitzer mit Frau und Tochter. Mein Schwarm. Die Tochter war noch sehr jung, eben aus der Schule. Die Mutter winkte, ich sollte mal hinkommen.

Das tat ich sich. Sie sagte, ich möchte ihrer Tochter mal einen Tanz beibringen. Da ich 1. Geige spielte, konnte ich eigentlich schlecht abkommen. Aber der Klarinettist sagte, einen Rheinländer bringe ich schon fertig. Die Schritte wollten nicht so recht, aber dann ging es doch noch. Die Eltern haben schmunzelnd zugesehen. Obwohl Patschwig dicht an Schmiedeberg liegt, hat mich keiner gesehen und verraten.

Aber einmal habe ich doch Strafe bekommen. In der Nähe dos Kurhauses traf ich nachmittags eine junge Dame und ging mit ihr nach Moschwig zu. Da kam uns der vertrauensvolle Gehilfe des Direktors entgegen. Wir grüßten noch. Er hat mich verpetzt. 5 Wochen musste ich zu Hause bleiben und Notenschreiben.

Das Rauchen war verboten, es sollte angeblich den Ansatz zum blasen hemmen.

Wenn wir der Stadtpfeife den Rücken drehten, um über Land Tanzmusik zu machen, waren wir von einem großen Zwang befreit. Unterwegs sagte einer: "Ich habe eine Schachtel Zigaretten bei mir, da kann jeder eine bekom­men. "Das war die billigste Sorte, die es gab mit Pappmundstück. Aber die wollte doch nicht recht schmecken. Die Zigaretten lockten, weil es

verboten war.

 

Verpflegung

 Im allgemeinen war die Verpflegung gut. Frühmorgens nach dem Waschen gegen 6.45 Uhr gab es Kaffee und eine große trockene Schrippe dazu.

Gegen 9.00 Uhr Frühstück 1/2 Stulle mit Landbutter bestrichen. Auch mal Margarine. Mittagessen 12.00 bis 13.00 Uhr.

Die Jüngsten mussten die gefüllten Eßnäpfe bzw. Teller aus der Küche im Vorderhause holen. Um 15.00 Uhr gab es manchmal eine 1/2 Stulle.

19.00 Uhr das Abendessen. Ebenfalls eine große belegte Stulle und Kaffee auch mal Kakao. Sämtliche Stullen waren 4 cm dick. Wer nicht satt wurde, konnte sich melden und bekam noch eine halbe Stulle nach. Die Stullen konnte man durchschneiden und hatte dadurch zwei, eine mit Butter und die andere trocken.

Der Montagnachmittag von 13.00 bis 18.00 Uhr war frei. Wenn es mir möglich war, ging ich nach Merschwitz und holte mir von der Tante J. ein Töpfchen Mus. Es war sehr schön, wenn ich die trockene Hälfte der Stullen damit bestreichen konnte.

Unser Taschengeld von zu Hause war sehr gering. Da wurden auch mal beim Fleischer für 10 Pfg. Wurstzipfel gekauft.-

Montagnachmittag gab es immer Nudeln, die sehr fett mit Rindfleischstückchen versehen waren. Es wollte nicht schmecken, wenn man gespielt und bis 12 Uhr geschlafen hatte.

Alle Lehrlinge ohne Ausnahme, auch die Schmiedeberger Ansässigen, mußten dort wohnen und schlafen. Weil man niemals aus dem Gebäude heraus durfte, kam es uns vor wie ein Gefängnis.

Einmal im Jahr musste die Latrine, die im Hof stand, ausgeräumt werden. Der Inhalt kam nach dem Schrebergarten. Im Garten hatten wir wenig zu tun.

 

Klavier

 Meine beiden Hauptinstrumente Viola und Tuba waren festgelegt. Sie mach­ten mir nicht viel zu schaffen, immer sind sie Begleitinstrumente. Geige hätte ich auch noch im weiteren Sinne üben können. Aber Geigenspieler gab es genug. Ich überlegte mir, wie kann man allein Musik machen?

Das war das Klavier. Das Üben aber und Gelegenheit dazu zu finden, war unmöglich. Der Direktor oder "Alte" durfte davon nichts wissen. Klavier­musik gab es damals überhaupt nicht.

Auf unsern Notenblättern, die wir spielten, standen Adressen, wo Tanzlieferungen mit Klavierbegleitung zu kaufen waren. Ich ließ mir solche Lieferung schicken und nun konnte ich sehen, wie diese Begleitstimmen aussahen. Ganz begierig studierte ich die Akkorde. Aber zum spielen war keine Gelegenheit da.

Meine Eltern sind inzwischen nach Wittenberg gegangen. Darauf komme ich später noch zu sprechen. Mein Vater hatte auf einer Auktion ein altes Tafelklavier für 32,- Mark gekauft. Meine Mutter hatte mächtig geschimpft. Wo soll denn das Stück stehen? Aber ein Plätzchen war doch noch im Zimmer frei.

Als ich Urlaub hatte und das Klavier sah, war ich ganz außer mir. Mein Vater sagte zu meiner Mutter: "siehste, es war doch richtig, dass ich das alte Klavier gekauft hatt. "

Ich hatte die Tasten erst mal in Ordnung gebracht. An Hand der Stimm­gabel habe ich erst mal die Taste gesucht und dann die weiteren Tasten.

Auch die Klavierschule war bald zur Stelle. Die Begleitstimmen machten mir recht viel Schwierigkeiten. Ich dachte mir, es steht doch da, also muss es auch zu spielen gehn.

Ich habe zu Hause auf dem alten Klavier geübt und immer wieder geübt, bis die Finger Stellungen schneller vonstatten gingen. Mein Bruder Willi war bei dem Kauf mit meinem Vater zusammen.

Willi hat auch schnell be­griffen.

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Notenschreiben

 Während wir Tanzmusik in größerer Besetzung spielten, habe ich beim spielen Akkordstudien gemacht an Hand meiner Violastimme. Bald beherrschte ich die Begleitungsformen der Tonarten. Ein Buch, die „Kompositions­lehre“ gab mir die Bezeichnungen dafür. Auch kam der Holzhacker-Marsch neu heraus. Da habe ich abends nach der Probe die 3 Stimmen Violine II.

Viola und Bass zusammen gezogen und daraus eine Begleitstimme angefertigt. Dieser Marsch wird heute noch gespielt, die Klavierstimme ist noch heute in Gebrauch.

Mein Stübchen hatte glücklicherweise das Fenster nach hinten hinaus, sodass ich heimlich bei einer ganz kleinen Petroleumlampe, die auf dem kleinen Schrank stand und auch noch so viel Platz da war, dass die Notenblätter und das Tintenfass zum Umschreiben der Noten ausreichte.

Das musste stehend gemacht werden. Ein ganzes Heft voll habe ich zusammen gezogen, wovon heute noch Stücke gespielt werden.

Die kleine Guckscheibe in der Tür habe ich mit 1 Stück Pappe und einer Reißzwecke verdeckt.

 

Zeppelin 

Ich hatte meine eigenen Noten besonders sauber geschrieben. Das Straf­notenschreiben habe ich nicht so gern getan. Deshalb wurden die Noten nicht besonders gut. Der Alte suchte immer einen Grund, mir als Strafe Notenschreiben aufzugeben.

Als Zeppelin II in Bülzig notlanden musste, bin ich trotz Hausarrest ausgekratzt. Mit 3 Kollegen zusammen und mit dem Fahrrad sind wir dort­hin gefahren. Als wir wieder zurück kamen, hat der Alte nichts gesagt.

In diesem Jahr bekam ich das erste alte Fahrrad von meinem Vater.

So haben wir in der Lehre gewirkt.

Nach Ostern 1909 kam aus Magdeburg ein Pensionär, ein ehemaliger Musikschüler. Er war am Arbeitsgericht in Magdeburg-Neustadt und brach­te seinen Sohn Konrad, der als Lehrling bei uns angemeldet werden sollte, mit. Er unterhielt sich mit uns und fragte, wer denn im letzten Jahr­gang ist. Wir waren 5. Sein Erstaunen war groß, dass sich noch niemand in den langen Jahren, die er in Magdeburg ist, aus Schmiedeberg gemeldet hatte.

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Gesuch

Wir entgegneten ihm, dass in der Musikerzeitung keine Gesuche aus den Magdeburger Garnisonen drin standen. Das haben die nicht nötig, erwiderte er. Schreibt mal hin nach Infante­rie-Regiment 26, Musikmeister Gruß. Das habe ich mit dem Kollegen Lips, der Geiger war, getan. Auf eine Postkarte mit Antwort hin, haben den Bescheid bekommen: "Stelle junge Leute ein."  - Die Post geht durch den Alten. Als er das gelesen hatte, bekam er große Wut und schimpfte: "Du, und willst nach Magdeburg, du blamierst die ganze Schmiedeberger

Stadtkapelle."

Ich ließ mich nicht einschüchtern. Ich schrieb zum 2. Mal, dass wir einen Tag frei haben würden und dann dort hinkommen. Die Antwort war wieder, wir könnten kommen. Der freie Tag war aber nicht frei. Es war Bade-Konzert angesetzt. Beim dritten Mal hat es dann geklappt.

 

Vorstellung und Probespiel

 Wir fuhren einen halben Tag früher, erst nach Wittenberg zu meinen El­tern, haben gebadet und geschlafen. Am andern Morgen gings nach Magde­burg. Anzugs Gehrock und steifer Hut, Viola und Tubamundstück. -

In einem kleinen Tanzsaal in Magdeburg war Blasprobe. Wir beide setzten uns ins Restaurant und hörten eine Weile zu. Der Musikmeister war recht laut und aufgeregt. Der Kollege Lips wollte vor Schreck wieder umkehren.

Ich sagte ihm: "Wir haben das Fahrgeld verfahren, nun bleiben wir hier bis zur Pause. Die Pause kam. Der Musikmeister setzte sich in eine Nische. Wir gingen beide heran. Lips immer hinter mir her und stellten uns vor, ohne ängstlich zu sein. Gruß hatte nicht viel Worte gemacht und holte einen Hoboisten heran, mit dem wir zur Untersuchung zum Lazarett mit der elektrischen Bahn fahren sollten. Bei der Untersuchung war ich tauglich und Lips zu schwach. Als wir wieder zurück kamen, war die Probe aus. Gruß sagte, nun kommen sie mal mit. Im Probesaal waren alle Instru­mente noch nicht eingepackt. Die Hoboisten saßen im Restaurant. Da stand die Tuba, auf der ich blasen sollte. Ich nahm mein Mundstück und wollte es auf die Tuba stecken. Das passte aber nicht. Zum Glück hatte ich noch eine Hülle, die ich um das Mundstück legte, nun passte es.

Nun blasen sie mal, sagte Gruß. Ich fing an, die B Dur-Tonleiter zu blasen. Beim 3. Ton habe ich aufgehört, ich erwiderte, es stimmte nicht.

Der Sergeant, der dabei stand, sagte: (Thiede) " Das ist noch eine alte Bauart."

Dann hat wohl das 3. Ventil 2 Töne umfang entgegnete ich. Dann ging das blasen gut. Jetzt gings in einen kleinen Raum mit der Bratsche, die ich auspacken mußte und darauf eine Tonleiter spielen fast bis an den Steg. Das war auch bestanden, ohne zu tadeln.

6 Wochen danach bekam ich meinen Annahmeschein zugeschickt zum 1, Oktober 1909. Der Alte in Schmiedeberg hat getobt und gewettert. Ich habe mich aber nicht beeinflussen lassen. Dje 4 1/2 Jahre waren nun bald um.

Ich konnte es kaum noch erwarten, aus dieser Stadtpfeife herauszukommen. 4 Tage vor dem 1. Oktober 1909 wurden wir, 5 Kollegen, entlassen.

Der Alte überreichte uns in seinem Wohnzimmer unsere Zeugnisse ohne viel Worte zu machen. Auf meinem Zeugnis: Ziemlich guter Violaspieler und ziemlich guter Tubist.

Beendet mit dem heutigen Tage seine Lehrzeit.

Erste Klaviermusik

Am 2. Abend nach der Entlassung haben wir für den Fußballklub Tanzmusik gespielt und das zugleich als unsere Abschiedsfeier betrachtet.

Dabei haben wir die erste Klaviermusik gemacht. Es hat sehr gut geklun­gen. Der Wirt hat den Saal kostenlos zur Verfügung gestellt. Der Kolle­ge Lips war aus Hannover. Unseren Verdienst haben wir ihm gegeben, da­mit er das Reisegeld bis nach Hause hatte. Der Eintrittspreis, 5o Pfg. war sehr gering. Der Alte durfte nichts davon wissen.

Er soll hinterher mächtig getobt haben und sich vorgenommen, keinen Lehrling mehr früher zu entlassen. Die Stadtpfeife war nur noch einige Jahre in seiner Hand. Er hat sich zur Ruhe gesetzt. Der vertrauensvolle Gehilfe hat dann alles, Haus und Betrieb gekauft und weitergeführt.

Ich bin auch nie wieder zu Besuch nach Schmiedeberg gefahren.

Nun möchte ich noch einmal auf Schnellin zurückkommen.

Mein Vater war gesundheitlich nicht auf dem Posten. Meine Mutter hatte ein schweres Magengeschwür gehabt. Da haben beide beraten: „Wenn die Kinder doch nicht in der Landwirtschaft bleiben wollen, denn müssen dir den Hof verkaufen.“

Das alte Wohnhaus hätte in absehbarer Zeit abgerissen werden müssen, ebenso das lange Stallgebäude, woran das lange Weinspalier war. Das wäre über die Kräfte der Eltern gegangen. Weil es baufällig wurde. Sie zogen nach Schmiedeberg zur Miete. Noch während

Ich dort in der Lehre war. Besuchen durfte ich sie nur Montagnachmittag. Ein Jahr später kauften sie in Wittenberg ein Grundstück, in dem sie ihren Lebensabend verbrachten.

 

Magdeburg 1909

Nach der Abschiedsfeier in Schmiedeberg gingen wir alle fünf auseinan­der. Jeder in einen anderen 0rt. Ich nach der Großstadt Magdeburg. Zwei Tage waren es nur noch bis zum 1. Oktober, die ich bei meinen Eltern verbringen konnte. Schon früh musste ich aufstehen, zog mir die engen Hosen und Gehrock an, nahm den steifen Hut und den Weidenkorb und Bratsche und ging zu dem Zug nach Magdeburg. Mein Gestellungsbefehl lautete auf dem Regimentsgeschäftszimmer 1 Treppe vormittags melden. Durch Be­fragen kam ich schnell dorthin. Es war niemand da, ich wartete. Nach einer halben Stunde kam ein junger Mann die Treppe herauf und begrüßte mich mit "Kellermann". Wir unterhielten uns auf dem Korridor. Nach und nach kamen andere, sodass wir im ganzen sieben waren. Wir machten uns

gegenseitig bekannt. Einzeln musste jeder seinen Annahmeschein vorlegen im Büro.

 

Erster Oktober 1909

Nach dem alle Formalitäten erledigt waren, gings nach dem Kasernenhof zum Mittagessen (Schellfisch mit Senfsoße und Kartoffeln) und zur Löh­nung 7,10 Mark.

In einer kleinen Kantine habe ich die Bratsche abgesetzt. Dann gings wieder nach der Regimentsgeschäftsstelle, wo die Kleiderkammer war.

Auf dem Wege dorthin sind wir erst einmal eingekehrt und haben 1 Glas Bier getrunken "Steinerne Tisch".

Unser Korpsführer war auch in der Kleiderkammer erschienen und begrüßte uns und gab uns den Rat, dem Kammerfeldwebel etwas Geld zu spendieren, damit wir eine anständige Uniform bekommen.

Sehr erstaunt waren wir, daß an den Waffenröcken schon die Schwalben­nester waren. Wir bekamen einen großen Arm voll Kleidungsstücke, Helm, Tornister usw. und ich trug noch dazu den Weidenkorb, Das war eine Traktur. Ein Gefreiter, der uns ausbilden sollte, brachte uns nach dem Schroteplatz in eine richtige Kasernenstube. Wir sieben mußten uns um­ziehen und jeder seine Sachen vorschriftsmäßig in seinen Spind tun.

 

Rekruten

Nun waren wir alle im Drillichanzug mit Feldmütze. Einer von uns mußte eine Kanne voll  Kakao holen und ein Anderer die Kommißbrote und Zubrot zum Abendbrot.

Als alles abgeräumt war mußte jeder seinen Schemel vor seinen Spind stellen. Es wurde schon dunkel. Der Gefreite, der mit in der Stube lag, hatte uns schon Instruktionen gegeben, wie wir uns verhalten sollten wenn der Offizier vom Dienst herein tritt.

Links und rechts an der Wand standen die Spinde. Beim Eintritt des Offiziers mussten wir stramm stehen. Wir konnten uns das Lachen kaum verkneifen, als wir uns gegenüber standen und uns gegenseitig im Dril­lichanzug stehen sahen. Der Gefreite rief: "Achtung".

Der Leutnant trat ein, aber nur bis zur Türschwelle, er musste auch lachen, als er uns mit

unserem langen Drillichrock stehen sah. Er fragte den Gefreiten: "Was ist denn das für eine Horde ?" Der Gefreite antwortete: "Hoboisten, Herr Leutnant". Schnell war der Leutnant wieder raus. Der Drillichrock ist ein Unteroffiziersrock, während der gemeine Soldat eine Drillich-Jacke trägt.

Am 2. Tag kamen noch die Einjährigen zur Ausbildung hinzu. Sie hatten Privatquartiere.

Vor den Dienst gingen wir alle in die Kantine und tranken Bohnenkaffee, frisches Brötchen mit Butter und Zucker für 15 Pfg.

Die Kasernen waren leer. Die neuen Rekruten kamen erst am 13. Die ersten Tage waren die schlimmsten. Da konnte man gar nicht die Treppe steigen.

Ata 13. mussten wir wieder umziehen. Diesmal in Uniform und die Zivil­sachen in den Korb. Wieder dieselbe Traktur. Am 10. war Löhnungsappell.

Da bekam ich von einem alten Hoboisten die Adresse zu meinem späteren Privatquartier.

Am 13. zog ich dann in die Kamelstraße 6 b, III Tr. zu Zarrieß, Schnei­dermeister.

 

13. Oktober

In der Kaserne, zu der wir gehörten, waren die Rekruten angekommen. Wir hatten dieselbe Ausbildung noch einmal.

Am 2. Löhnungsappell am 10. Oktober kam Theodor Gruß und fragte mich, ob ich fähig bin, am Sonntag mit zu spielen. Ob ich eine Bratsche hätte. Ich antwortete ja. Nachmittags war Konzert von 16.00 - 19.00 Uhr in Zi­vil in den National-Festsalon". Ein Gefreiter "Rappholz" Flötist, hatte die Noten und gab mir Bescheid, ich sollte beim Notentragen und Austei­len helfen. Bis Konzert - Programm bestand aus 3 Teilen. Im 1. und 2. Teil dirigierte der Korpsführer. Zum 3. Teil kam Th. Gruß selbst.

Weil es Sonntag war, und wir 2 Lokale besetzen mussten, dirigierte Th. Gruß in "Brauers Konzertgarten" den 1, Teil und fuhr dann mit der elektrischen Bahn während des 2. Teiles nach den National-Festsalon" und dirigierte dort den 3. Teil.

 

Th. Gruß

Auf beiden Programmen stand "Unter persönlicher Leitung dos Obermusikmeisters Th. Gruß. Als ich das erste Konzert mit spielte, kam mir das Spielen sehr lächerlich vor.

1. hatte ich doch keine Probe mitgemacht, und dann gab es auch noch für das Spielen Geld. Das konnte ich gar nicht fassen. Das erste selbstverdiente Geld. Das war ein großer Unterschied gegen Schmiedeberg.

Viele Stücke waren mir schon bekannt, durch die Badekonzerte. So war es Sonntag für Sonntag. Ab 19.30 Uhr war anschließend Tanz bis 23.00 Uhr.

Wir waren aber auch darauf angewiesen. Mit 7,10 Mark Löhnung aller 10 Tage kann man nicht auskommen. Das macht 71 Pfg. pro Tag, davon Essen, Quartier und Zivilkleidung bezahlen. Die Konzerte und die Tanzmusik waren unser zusätzlicher Verdienst. Die Auszahlung bestand aus Gold - und Silbermünzen. Es musste aber doch immer wieder ausgegeben werden. Das Quartier kostete allein schon 15,- Mark monatlich.

 

Musik – Korps

Als die 6 Wochen Ausbildung vorüber waren, kamen wir mit unserer schö­nen Uniform zur Regimentsmusik. Jeden Vormittag war Probe von 9 - 12 Uhr.

Die Launen von Th. Gruß waren nicht alle Tage so schlecht wie wir zum Probespiel erlebt hatten. Wir 7 jungen Leute, wir nannten uns selbst die 7 Schwaben, mußten immer, wann Probe angesetzt war, um 1/2 9 Uhr beim Obermusikmeister erscheinen. Die Noten die geprobt werden sollten, mußten wir aus den Regalen herausnehmen, in große Ledertaschen packen und nach dem Probelokal bringen und auf Befehl die Stimmen austeilen.

Beim Aussuchen der Noten musste immer der Titel des betreffenden Stückes vorgelesen worden.

Einmal kam ein französischer Titel zum Vorlesen. Es war die Ouvertüre "Si j’otais voi". Wir alle sieben standen auf dem Korridor vor der Wohnung des Obermusikmeisters, er fragte uns nacheinander, wie der Titel heißt. Keiner konnte es aussprechen. Ich kam als Letzter dran

und antwortete richtig. Nun gings aber los, "Dumme Kerls" usw.

Da kam mir mein Besuch der Mittelschule zugute.

Zu den Streichproben spielte ich Bratsche gleich am 1. Pult mit dem Unteroffizier Prahm. Mir ist die Spielerei zuerst sehr schwer gefallen. Manchmal waren es schlecht geschriebene Noten.

In Schmiedeborg trug ich das letzte Jahr eine Brille, da ich durch das dortige matte Petroleumlicht mir die Augen verdorben hatte. In Magde­burg dagegen brauchte ich keine Brille, da das Licht sehr hell war. Für den Nachmittag war Einzelüben im Quartier angesetzt, die ich aber selten eingehalten habe.

Jeden Dienstag und Freitag waren große Konzerte in voller Besetzung, 42 Mann, von 20 - 23 Uhr. Es waren Opern-, Operetten-, Wagner, Strauß­abende usw. Jedes Jahr einmal kam der berühmte Posaunen virtuos Alschanski und brachte seine hervorragenden Kenntnisse zu Gehör. Auch Piston, Virtuose, Kümmel, Fritz Kreißler und Sänger haben das Publikum begeistert

 

Konzerte usw.

Im Winter spielten wir in Zivil, im Sommer im Garten in Uniform.

Montags ab und zu Logenkonzerte, mittwochs "Salzquelle", Donnerstags

Nachmittag "Bad Elmen" und abends "Kasinogarten".

Des Öfteren, wenn schönes Wetter war auch im "Herrenkrug". Dieser hatte ca. 1ooo

Sitz­plätze, die alle besetzt waren. In der "Wilhelma" große Doppelkonzerte.

Jeden 5. Sonntag Platzkonzert. Morgenmusiken anlässlich Geburtstagsfei­ern, bei "Hindenburg", Oberst, Major usw.

Bei Marschmusik' durch die Stadt von und zur Kaserne war ich der Flügel­mann mit der Posaune.

Auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow mussten wir auch tüchtig ran.

Die Truppen wurden mit Marschmusik hinaus geblasen und wieder abgeholt.

Bei trockenem Wetter entwickelte sich dabei eine riesige Staubwolke.

Dort waren wir in Baracken untergebracht.

 

Nasenbluten

Einmal hatte ich die Zeit vorschlafen. Frau Zarrieß hat mich zu spät geweckt. Wir hatten Platzkonzert. Ich sagte ihr: "Was nun ? Die spielen schon !" Sie hatte eine mächtige Angst. Ich ging los, holte mir in einem Fleischerladen etwas Blut, das ich an die Nase wischte und auch das Ta­schentuch besudelte. Der Fleischermeister lachte und ahnte, um was es sich dreht. Er meinte, das ist aber eine fixe Idee. Guten Erfolg wünschte er mir dazu. Als ich nun verspätet zum Platzkonzert kam und eine blutige Nase hatte, entschuldigte ich mich beim Obermusikmeister mit den Worten: „Beim Waschen fing meine Nase an zu bluten, und ich könnte nicht zur rechten Zeit fortgehen." Er sagt: „Das kommt vom unregelmäßigen Lebenswandel". Er drehte sich um und es war vergessen. Diesen Vorfall habe ich niemandem erzählt. Nut Zarrieß, weil sie so große Angst um mich hatte.

 

Vitzenburg (Unstrut)

1911 im Herbst war das erste Manöver. Einige Erinnerungen habe ich noch von unseren Quartieren im Unstruttal. Wir kamen nach Nebra und mussten nach Vitzenburg hochklettern. Auf dem Getreideboden waren große Tafeln zum Abendessen aufgestellt. Es gab Brot und Gehacktes und gekochtes Fleisch. Einer von uns sagte: „Aufs Jut da han ses jut" Am Abend spielten wir auf der Terrasse für die Herren Offiziere.

Es war ein wunderbarer Sonnenuntergang. Unten lag Nebra und die Unstrut schlängelte sich durch das Tal. Unsere Musik schallte über die ganze Gegend hinweg.

Nach einer Weile hatten 2 Männer mit Häckselkispen, darin waren Bierflaschen. Aah jetzt gibt's "Pupe". (Braunbier). Als vor jeden ein Weinglas hingesetzt wurde und wir die Flaschen öffneten, sahen wir das es Weißwein war.

Eine Flasche für 2 Mann. An der Unstrut gewachsen.

Abends in Barnstedt, auch nicht weit von Nebra, war Manöverball.

 

Manöver

Es ging lustig her. Am Nachmittag kamen wir dort an. Wir waren erst im Gasthof. Da habe ich mit Kellermann den Holzhacker Marsch mit großem Elan 4 - händig gespielt. Alle waren hell begeistert. Sie waren erstaunt, was aus einem Klavier herauszuholen ist.-

Unser nächstes Quartier hatten wir in Burgscheidungen.  - In einem kleinen Haus war ich untergebracht. Die Frau hatte frischen Pflaumenkuchen gebacken, der sehr gut schmeckte.

Früh wurde damit angefangen, daun gab es ihn auch zum nach Tisch, zum nach­mittags Kaffee und noch nach dann Abendbrot. Das war mal ganz etwas anderes als sonst üblich. Burgscheidungen liegt in einem weiten Tal. Das Schloß ist in der Mitte auf einem Bergkegel und das Dorf zieht sich den Ab­hang hinunter.-

Am anderen Tag ging es durch das herrliche Unstruttal nach Freiburg.-

Ein großes Erlebnis war für uns, als wir in Merseburg im Schloßpark mit 500 Musiker zusammen gespielt haben.

Klavier Magdeburg

So war es in Magdeburg, fast jeden Vormittag Probe und abends die Aufführungen. Im Probesaal stand ein Klavier. In der Pause spielte ich mal da­rauf. Es war in den ersten Wochen. Als das ein alter Kollege hörte,  (Rungenhagen, Muffel) faßte er mich im Nacken und sagte: „Was, sie spie­len Klavier?" Ich antwortete schüchtern, daß ich nur das konnte, was ich oben spielte. Da sagte er, ich wäre doch noch jung und das lernte ich alles noch.

Am 27. Januar müssen 12 Kapellen aufgestellt werden und da werden sie mit mir spielen. Gleich ging er zu Th. Gruß und erzählte ihm das. Sofort war er damit einverstanden. So kam es auch. Zur Vorsicht muhte ich die Bratsche mitnehmen, im Fall, es geht nicht mehr. wir waren 3 Mann 1. Geige, Bratsche oder Klavier und Bass Als der Bassist merkte, dass meine Spielerei ging, hat er sich verzogen, sodaß wir zu zweien die ganze Nacht gespielt haben.

Am anderen Tag war Th. Gruß sehr neugierig, wie das Spiel verlaufen ist. Dor alte Geigenspieler hat ihm berichtet, daß ich die ganze Zeit Klavier gespielt habe. Darauf hat Th. Gruß gesagt, dann spielen sie mit dem jungen Mann am Sonntag nachmittag im kleinen Saal Geige und Klavier, was auch geschah. Als die Konzertkapelle Pause hatte, kamen die alten

Kollegen und wollten nun hören, was der ganz junge Mann auf dem Klavier spielt, Sie hörten eine Weile zu und gingen stillschweigend wieder fort.

Am Abend kamen noch mehr Kollegen zu uns hinzu. 5-6 Mann, während der Rest der Konzertkapelle im großen Saal auch zum Tanz aufspielte.

Durch mein Klavierspielen habe ich noch viele kleine Mucken (Geschäfte) gespielt.-

Dor Geigenspieler bot mir an, ich sollte mir von seinen Noten, die auch geschrieben waren, die besten Sachen abschreiben. Notenpapier sollte ich mir von einem früheren Musiker holen, der es mir sehr billig abgab. -

 

Zarrieß

Als das Familie Zarrieß merkte, waren sie erfreut, daß ich durch das Noten schreiben zu Hause blieb und nicht ausschweifte. Da habe ich mir durch Zerschneiden des Papiers 2 Bücher zurechtgemacht, in die ich Operettenmelodien und Tänze eingeschrieben habe. Das kommt mir heute noch zu­ gute.

Frau Zarrieß war froh, wenn ich da war, dann konnte ihr grober Mann sie nicht so beschimpfen, weil ich in meinem Zimmer alles gehört hätte, so musste er sich sehr zusammennehmen. Manchmal habe ich mir das Geschrei verboten. Herr Zarrieß war Hosenschneider und liebte sehr den Alkohol.

Im Hochsommer, wenn große Hitze war, wurde befohlen, zur Parade oder zum Platzkonzert mit weißen leinenen Hosen zu erscheinen. Frau Zarrieß wusch und bügelte mir die weißen Hosen und sagte, ich sollte auf den Stuhl steigen und dann die Hosen anziehen, damit es keine Knicke gibt.

Auch wildlederne Handschuhe mußten täglich angezogen werden. Wenn sie schmutzig waren wurden sie gewaschen.

Meine Eltern schickten mir ein Klavier aus Wittenberg, zum richtigen Üben bin ich nicht gekommen.

 

 

Fräulein Bieler

Schräg gegenüber unserm Probesaal war eine Papierhandlung Bieler. Hier kaufte ich meine Schreibutensilien, Notentinte, Notenpapier und Notenfedern. Dort wurde ich meistens von der Tochter bedient. Sie grinste mich an und meinte, sie hätte ein kleines selbstverfasstes Gedicht, ob ich es ihr vertonen könnte. Nach Ladenschluss sollte ich es mir abholen und sah, dass ich es machen könnte. Es war bald fertig und mit einer schönen Aufschrift versehen, überreichte ich es ihr.

Sie war hocherfreut und hat es immer wieder angeschaut und mich auch. Wir sind des Öfteren spazieren gegangen, da sie die höhere Töchterschule besuchte und mit vielen jungen Leuten zusammen war, bekam unsere Freundschaft einen Riß.

Als wir uns mal wieder getroffen hatten, forderte ich mir das Notenstück nochmal zurück, um etwas darin zu ändern. Sie holte es aus der Wohnung herunter. Ich zerriss es in kleine Stücken und sagte: "Das hätte ich nicht gedacht, heute mit dem und morgen mit dem herumflankieren"

Später sagte sie mal, sie hätte die Stücken alle wieder zusammengeklebt und dadurch eine besondere Erinnerung. Damit war die Episode abgetan.

Wir beide kamen auch nicht wieder in Berührung.

Hierzu das Gedichtchen von ihr

 

Erinnerungen

 

Text von Frl. Bieler, Magdeburg

Lockende Harfentöne

Sehnsuchtswilder Gesang

Hör ich im Traume wieder

Sag` mein Liebster,

Was macht mich so bang?

Ist es die Sehnsucht

Die Schmerzensreiche,

Ist es ein wahnsinniger Traum!

Lockonde Harfenlaute

Hör' ich im Traume wieder

Sag mein Liebster,

Was macht mich so bang?

 

Familie Baer

Als ich kurze Zeit in Magdeburg war, habe ich Herrn Baer durch dessen Vermittlung ich hierhergekommen bin, aufgesucht. Durch den Sohn Konrad, der damals nach Schmiedeberg kam, wusste ich die Adresse. Frau Baer öff­nete mir die Tür. Herr Baer freute sich sehr, dass nun endlich mal einer aus Schmiedeberg nach Magdeburg kam. Er lud mich ein, öfter zu ihnen zu kommen.

Außer Konrad hatten sie noch einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn wurde Lehrer und die Tochter hatte Klavierstunden. Da sollte ich öfter mal mit ihr musizieren. Ich brachte leichte Sachen für Klavier und Geige mit. Das waren die einzigen Bekannten, die ich in Magdeburg hatte, zu denen ich zu jeder Zeit mal hinkommen konnte.

 

Lenchen

Es war ein Jahr vergangen, wir alle 7 jungen Leute wurden Gefreiter. Das war die schönste Beförderung. Die Freude groß und wir waren sehr stolz darauf. Ein Zeichen, dass wir uns gut bewährt haben, denn Gefreiter wurde nicht ein Jeder.

Eines Tages ging ich mit dem Kollegen Fritz Behns durch die Stadt. Wir unterhielten uns, da überholten uns 2 junge Mädchen, die sich immer wie­der nach uns umguckten und kicherten. Sie rannten aus einander und waren verschwunden. Längere Zeit haben wir sie nicht wieder gesehen. Fritz Behns hat die Eine nach längerer Zeit mal wieder getroffen und hat sich mit ihr verabredet und gesagt, sie möchte ihre Freundin mitbringen, er wollte auch seinen Freund Bescheid sagen. Dadurch habe ich das Lenchen kennengelernt. Wir beide haben uns wieder verabredet und sie kam dann auch in unsere Konzerte. Meist setzte sie sich auf die Galerie, um mich stets im Auge zu behalten.  

Einmal zum Musikerball hatte ich sie eingeladen. Da sie Schneiderin war in einem guten Modesalon, war sie sehr schick gekleidet. Ich hatte ihr einen Veilchenstrauß besorgt, der passte sehr gut zu ihrem weißen Kleid.-

Das war mein erster Ball mit Dame. Ich war ganz selig, ach Lenchen, mein Lenchen, ruh` ich in deinem Arm, wie wonnig, wie selig, wie wird das Herz mir warm.

Jeder von uns 7 Schwaben hatte sich eine Dame eingeladen. Sonst hätten die alten Hoboisten dafür gesorgt. Inzwischen waren wir Unteroffiziere geworden. Die Freundschaft mit Lenchen habe ich aufrechterhalten, bis der Krieg losging. Zu allen Gartenkonzerten saßen die Musikerbräute an einem Tisch zusammen. Sie hatten große Hüte auf, mit großen Straußenfedern garniert. Nach Schluss brachte jeder seine Dame nach Hause. Manchmal war es lustig dabei.

 

Mobilmachung 01.08.1914

Unser Regiment brauchte erst am 7. Tag nach der Mobilmachung an die Front. Die Fahrt ging bis Aachen bis Jülich. Danach setzte ein langer Marsch ein durch die ganze Stadt. Es war ein heißer Tag. Wir mussten mit gepackten Tornister auf dem Bücken über 2 Stunden blasen. Die Einwohner gaben uns Wasser, Tee und Kaffee, sogar die Feuerwehr bespritzte uns, damit wir wieder frisch wurden. Von der Truppe machten unterwegs verschiedene schlapp.

Von Kriegserlebnissen will ich nicht viel schreiben.

Er war zu schreck­lich. Wir waren Krankenträger und immer wenn was los war in Tätigkeit.

 

Der Gefangenschaft entronnen

Einmal, vor Paris, mussten wir, als das Gefecht abgebrochen war, über die Stellung hinaus unsere Verwundeten suchen. Als wir zurückkamen, war unsere Stellung verlassen. Ein Ulan kam angeritten und sagte: „Was macht ihr denn noch hier? "Er zeigte uns die Richtung, wo die Truppe sich befindet. Kollege Zwanzig und ich sind gerannt. Da lag zu unserer Rettung im Straßengraben ein französisches Fahrrad. Ich sag­te zu Zwanzig, nimm das Rad und fahre ein Stück, dann nehme ich es und dann fahre ich weiter. So machten wir es abwechselnd, bis wir zu einem deutschen Truppenteil kamen.-

Nach 3 Tagen fanden wir erst wieder unser Regiment. Viele sind in Gefangenschaft geraten. (Aisno, Couisy, Rappholz, Piondek Bein ab, Rögner Kopf, Kläden)

Als der Stellungskrieg vor Arras eintrat, wurde es für uns Hoboisten etwas ruhiger. Jeder erhielt Post von zu Hanse und ich auch von Lenchen. Sie schrieb immer sehr schöne Briefe. Vereinzelt gab es Heimaturlaub.

Es ging Reihe nach. Dia alten Hoboisten zuerst. Als einer der Kollegen vom Urlaub zurückkam, erzählte er mir: „Ich habe deine Dame gesehen mit einem Herrn, aber der Bruder war es nicht," später hat mir ein anderer Urlauber dasselbe berichtet. Dann kam eines Tages ein anonymer Brief, in dem stand, ich sollte ihr nicht trauen, sie warnten mich usw. Sie gäbe sich mit anderen Männern ab. Danach habe ich die schönen Briefe nicht mehr beantwortet. Auch auf einer Konzertreise nach Magdeburg habe ich sie nicht beachtet.-

Lenchen war Direktrice in einem Bekleidungsamt geworden und hat sich mit einem verheirateten Offizierstellvertreter eingelassen

 

Cambrai Kutsche. Kartoffeln. Haste Tee

Ja, das war ein Gefährt, die "Cambrai-Kutsche". Ein Schimmel, ein Dockart mit Verdeck und ein Kutscher, genannt (Fuhrmann Henschel) H. Güldenpfennig, Hoboist meines Jahrganges. Er machte sich auf, spannte unsern alten Schimmel an und fuhr so jede Woche zum Markt. Eine lange Liste, auf der unsere Wünsche standen, bekam er ausgehändigt. Es waren 10 - 12 km. Mein Vorlangen war Butter, die ich dann auch erhielt.

Wenn sie auch ziemlich teuer war, war es doch Butter. Ich habe erst mal geknetet und dann hatte ich kaum noch die Hälfte. Das übrige war Wasser.-

Kartoffeln waren knapp. Aber auf den Feldern nach vorn, konnte man nur des abends oder nachts welche ausmachen.

In einem Garten fand ich 2 große Stauden Fenchel. Ich machte mir grüne Blätter ab und kochte Tee. Ein Kollege, der auch Verständnis zeigte, sagte: „Richard, haste Tee?" Das haben wir mehrere Male gemacht.

Wir Hoboisten lagen alle in einem Bauerngehöft mit 3 Stuben auf Stroh­säcken, die des Abends breit gelegt wurden. Vier Mann von uns mussten täglich abwechselnd nach vorn zum Schützengraben in den Sanitätsstand.

Einmal bekamen wir 4 den Auftrag, einen Feldwebel, der sehr groß und stark war, mit der Krankentrage zurückzutragen, wobei ich mir einen Leistenbruch zuzog.

 

Willi

Als wir zum 2. mal Konzertreise nach Magdeburg hatten, war mein Bruder Willi gerade bei einer Genesungskompanie in Magdeburg, die zu unserem Regiment gehörte. Er sollte gleich nach Frankreich kommandiert werden.

Ich ging zu dem Feldwebel und sagte ihm, das gibt es nicht. Ich bin jetzt auf Urlaub und solange ich hier bin, möchte ich mit meinem Bruder zusammen sein. Er war ein paarmal mit zum Konzert. Er kam aber bald zu den Jägern zur Ausbildung nach Weißenfels und dann nach Wyborg (Finnland). Wie Willi später berichtete, wäre es eine herrliche Fahrt gewesen mit dem Schiff über die Ostsee. Dort ist er nicht lange Zeit gewesen, dann war Kriegsende.

 

Nach Hause gehen und Olfenbüttel

Als wir in Frankreich mal wieder Stellungswechsel hatten, und wir geschlossen abmarschierten, war eine ziemlich gedrückte Stimmung unter uns. Da rief ich auf einmal: „Na, dann woll'n wir mal nach Hause gehn!“

Da wurden alle lebendig und mir wurde zugerufen: „Wir können doch nicht zu Fuß nach Hause gehn, wir fahren doch nach Hause!" Darauf entgegnete ich: „Das Fahren ist doch unmöglich. Wenn der Krieg mal zu Ende sein sollte, ganz gleich, ob wir gewinnen oder verlieren, dann werden die Eisenbahnen zum Abtransport des Kriegsmaterials gebraucht. Da bleibt uns nur der Fußmarsch nach Hause.“

So kam es dann auch, das viele Material blieb als Opfer des Krieges in Frankreich. Der Krieg war zu Ende. Wir mussten doch zu Fuß laufen von Frankreich über den Rhein bei Koblenz bis Meiningen. Sämtliche Gespanne sind bis Magdeburg gefahren. Im Westerwald gings in Serpentinen nach Kaltennordheim. Als auf der abschüssigen Straße wir halt machten und

die Mitte der Straße frei hielten, kam plötzlich der lange "Laban" Spitzname für Olfenbüttel, mit dem Fahrrad angerast. Er hatte 2 Kommiß­brote unter dem Arm und konnte nicht bremsen und schrie: „ Anhaal´n, Anhaal´n

Wir konnten ihn nicht festhalten, er sauste den Berg hinunter. Wie und wo seine Fahrt geendet hat, konnten wir nicht feststellen.

Auf diesem Rückmarsch kam wieder mal der Anspruch von mir: „Na, dann wolln wir mal nach Hause gehn!" – hat sich doch bewahrheitet.

Von Meiningen sind wir in Gruppen von 10 Mann mit jedem fahrplanmäßigen Personenzug bis Magdeburg gefahren. Dor Soldatenrat hatte sich einge­schaltet und gesagt, wir wollen Weihnachten zu Hause sein. An einem be­stimmten Tag vor Weihnachten mussten wir alle wieder in Schönebock sein.

Von da aus war der Einzug in Magdeburg. Ein paar Tage später mussten die Tressen und Kokarden ab.

Dafür gab es 3 hellblaue Wollstreifen auf dem Arm. -Feldwebelrang-

Zarrieß hatten das Zimmer nicht vermietet. Da konnte ich wieder einziehen

Th. Gruß

Th. Gruß, der fast den ganzen Krieg über bei uns war, hatte den einzigen Wunsch, den Einzug in Magdeburg mitzumachen. Das wurde ihm durch Abstimmung versagt. Das hat ihn sehr gekränkt. Er war ein tüchtiger Dirigent und Komponist. Wenn er auch manchmal grob war, so war er doch nie nach­tragend. Er schimpfte, aber im nächsten Augenblick war alles vergessen.

Damals war er 66 Jahre alt und der einzige Musikmeister -Direktor Leutnant-, der in diesem Alter noch an der Front war. In der folgenden Zeit habe ich ihn nicht wieder gesehen.

Durch den für uns verlorenen Krieg wurde das Heer auf 200 000, später auf 100 000 Mann verringert. Die Regimenter aus den Grenzgebieten wur­den nach Mitteldeutschland verlegt. Es Begann die große Abwicklung.

Kapitulanten Kurse wurden eingerichtet, um die Aktiven auf andere Berufe umzuschulen. Ich blieb solange, bis die Verringerung auf 100 000 Mann kam.

 

Willi

Während ich noch in Magdeburg war, wollte sich Willi, der in Wittenberg war, eine Existenz gründen. Er kam zu mir nach Magdeburg. Wir haben uns verschiedenes angesehen, was für ihn in Frage käme. Es sagte ihm aber nichts zu. Ich hätte viel Zeit für ihn gehabt, aber es wurde nichts daraus.

Ich selbst spielte mehrere kleine nette Geschäfte zu zweien, Klavier und Geige. Jeden Sonntag war in Prester Tanz, wo auch verschiedene Male der Bruder meines Schwagers Fischer mit seiner Frau hinkam.-

Einmal nach Schluss hat uns die Wasserpolizei nach Magdeburg mit ihrem Motorboot mitgenommen. Sie waren ein bisschen beschwert. Unterwegs auf der Elbe stellte sich heraus, dass sie den Anker verloren hätten, den Motor mussten sie abstellen, da wir stromabwärts fuhren, sonst hätte das Boot zu große Schnelligkeit bekommen. Es war unmöglich zu landen.

Wir hatten große Angst. In der Nähe der damaligen Königsbrücke ankerten 2 große nebeneinanderliegende Elbkähne. Auf einmal hieß es: „Kopf run­ter, bücken, sonst schneiden uns die festgemachten Taue der Elbkähne den Kopf ab!"

Zwischen beiden Kähne sind wir reingerast und kamen dann zum stehen. Das gab einen großen Krach nachts um 1 Uhr. Die Schiffer sind aufgeschreckt und haben mächtig geschimpft. Wir mussten über die Elbkähne klettern, um au Land zu kommen. Wir waren froh, dass alles gut überstanden war. Meine damalige Flamme Meta Beyer, die mich immer verfolgte, war auch mit dabei.

Bei Zarrieß hatte ich nur mein Zimmer mit Morgenkaffee. Meine sonstige Verpflegung holte ich von der Kaserne und brachte Zarreiß meistens ein Kochgeschirr voll Mittagessen mit. Sie war sehr erfreut darüber, denn es war die knappe Zeit, wo es wenig zu essen gab. Das war ein kleiner Ausgleich für die viele Mühe, die sie für mich aufgewendet, und meine Sachen so schön in Ordnung gehalten haben. Der kleine Rudi Herbst der oft bei Zarrieß war und auch immer Hunger hatte, den fragte ich einmal, komm mit, ich habe schöne blaue Graupen. Ich schmierte ihm auch mal eine Butterstulle mit Marmelade und Bückling drauf und sagte, das schmeckt sehr gut.

 

Entlassung

Ich wurde entlassen am 31.12.1920 und konnte noch ein Instrument aus Heeresbeständen kaufen. Das ist meine große Tuba. Dann führ ich nach Hause nach Wittenberg und konnte sofort bei Kapelle Appelt mit spielen. Der Ver­dienst wurde nach und nach immer geringer, sodass ich nach einem Jahr aufhörte und stempeln ging. Meinen Eltern war das gar nicht recht. Nach einiger Zeit konnte ich im Sprengstoffwerk anfangen, im Ölberg zu arbeiten,

am 25.12.1922. Als ich ein dreiviertel Jahr dort war, wurde ich zum Werk­schutz übernommen. Zu dieser Zeit setzte die Inflation ein. Neben der Eisenbahnkontrolle am Tor, mußte ich noch Lohntüten ausschreiben. Es war nichts so einfach, sich in den vielen Tausender, Millionen und Milliarden zurechtzufinden. Da Dr. Geißler wusste, dass ich Musiker war, forderte er mich auf, mit im Quartett zu spielen. Das hat mir viel Freude gemacht.

Da war ich mal wieder für ein paar Stunden in meinem alten Beruf drin. Für die Bewohner der Kolonie war alle 14 Tage Gottesdienst. Da ich grade an diesen Sonntagen Dienst hatte, bat mich Pfarrer Geibel, doch zum Gottesdienst Harmonium zu spielen. Dazu nahm ich meine Arbeitspause.

 

Hochzeit und Wohnung 

In der Zeit, als ich bei Apelt war, hatte sich Willy verheiratet mit Amalie Luley. Bei dar Hochzeit hatte ich Mariechen Luley, die Schwester von Amalie, als Hochzeitsdame. Da ich bei Kapelle Apelt viel Zeit hatte, bat mich der Hausvater Luley, ihm bei seiner Arbeit zu helfen. Dadurch war ich oft mit Mariechen zusammen. Wir lernten uns näher kennen. Es fehlte ein Gehilfe und ich musste mich dafür einschalten. Gern habe ich es nicht getan, denn in dem Schlafsaal der Jungens war eins dicke Luft.

Wir haben uns verheiratet am 11.5.1923 und wohnten 4 Jahre bei Frau Stanitz 1 Treppe als Untermieter. Wasser und Gasanschluss wurden von ihrer Küche aus durch die Wand geleitet. Die Wohnungsmiete hatten wir bezahlt an meine Eltern. Frau Pannicke II Treppen suchte eine kleinere Wohnung. Wir haben gehört durch Malchen, dass eine Frau aus der Grünstraße sich nach Luckenwalde verheiraten wollte. Ihre Wohnung gäbe sie auf, wenn ihr je­mand den Umzug nach dorthin bezahlen würde.

Frau P. zog am 15.9.1927 nach der Grünstraße und wir bekamen ohne Wohnungs­amt eine eigene Wohnung. Wir wohnten 10 Jahre in dieser Wohnung.

Frau Stanitz wollte 1937 nach dem Altersheim ziehen. Da sind wir wieder in das 1. Stockwerk gezogen. In Frau Sanitz Wohnung war nichts in Ordnung. Handwerker, Maler, Ofensetzer usw. haben alles bestens hergestellt, auch Linoleum gelegt und Innenklosett mit Badeeinrichtung und Speisekammer eingebaut. Alles wurde hübsch gemacht, damit Marie eben, die immer kränklich war, doch wenigstens an der schönen Wohnung Freude hatte.

 

Fräulein Hamann und Bienenstöcke

Am … ist die Mieterin Fräulein Hamann (Lehrerin) pensioniert worden und wollte ihre Wohnung im Hause aufgeben. Sie hatte mich im Garten bei uns ein Stückchen mit einer Laube. Die Laube wollte sie verkaufen und hat annonciert. Es hat sich aber keiner gemeldet. Da habe ich die Laube gekauft für 10 Mark. Den kleinen Garten habe ich dann von meinem Vater gepachtet.

Eines Tages war auf einmal ein Bienenschwarm im Garten. In einer Kiste konnte ich den Schwarm einfangen und die Kiste wurde in der Laube aufgestellt und betreut. Von einem Imker bekam ich noch Bienenkästen. Da waren es dann 3 Völker. In der WASAG hatte ich viel Sonntagsdienst. Gerade an einem Pfingstsonntag, wo ich mal frei hatte, schwärmten die Bienen. Ein Schwarm befand sieh im Nachbargarten und ich musste also Sachen anziehen,

und den Schwarm holen. Da hatte ich aber genug von der Imkerei. Honig gab’s nicht. Die Bienen mussten immer über die Häuser fliegen, um dort Nektar zu holen. Mit der Imkerei war es vorbei.

Hierzu mein Gedichtchen: „Das Bienchen“.

 

Das Bienchen

Von Richard Glaubig

 

Ich bin das Bienchen summ, summ, summ

Flieg gern im Sonnenschein herum

Am liebsten tu ich wandern

Von einer Blum zur andern

 

Hier find' ich alles wohlbestellt

Ich such' mir das was mir gefällt:

Den allerbesten Honig

und fragst du nun wo wohnt' ich?

 

In einem Korb das muss man sehn

Wo meine süßen Waben stehn

Darinnen ist die Königin

Und abertausend Bienchen drin

 

Hier herrschst große Sauberkeit

Denn alles ist genau gereiht

Das sind die eck'gen Zellen

Die wir mit Honig füllen

 

Wir Bienchen haben großen Mut

Und schützen unser köstlich Gut

Und stört uns mal ein Bösewicht

Gleich gibt es Stiche ins Gesicht

 

Greift auch der Imker mal ins Heim

Und nimmt uns gar den süßen Seim

Dann sind wir arg und bös' darum

Und um ihn geht's dann summ, summ, summ

 

Wir Bienchen fliegen wieder rum

Und weiter geht's mit summ, summ, summ

Wir danken jedem Blümelein

Das uns anlockt im Sonnenschein.

 

Rosen

Bei meinen Kontrollgängen um die "WASG" sind mir verschiedene wilde Rosensträucher zu Gesicht gekommen, mit ihren scheuen roten Hagebutten.

Daneben standen schon gewachsene Ruten, die zum veredeln gut geeignet sind.

Nach Dienstschluss habe ich mir aus dem Wald einige Wildlinge mit wurzeln geholt, um sie in meinen Garten zu pflanzen, als mein Vater das sah, hat er tüchtig geschimpft: „Nun wirst du wohl noch Dornen in den Garten pflan­zen wollen!“ Nachdem ich die Wurzeln schon ausgeputzt hatte, habe ich ihn gebeten, die Stämmchen beim pflanzen zu halten. Das hat er dann auch getan. Als im nächsten Sommer die veredelten Rosen blühten, hat er nicht mehr geschimpft, sondern gesagt: „Das ist doch etwas Schönes!“ Damit war der Anfang zu meiner Rosenzucht gemacht. Auch jetzt holen wir manchmal Rosenwildlinge, die ich früher dort mal durch Hagebutten ausge­sät habe. Wie das alles gemacht wird, habe ich gelernt bei Wilhelm Sauerbrey, Baumschule und Rosenkultur, dem ich mal einige Zeit geholfen habe. Zu diesem allen gehört viel Glück, Geduld und eine ruhige Hand. Wenn man erst Gefallen daran gefunden hat, kann man es nicht mehr lassen.

Mehrere Hochstämme sind ca. 20 Jahre alt und blühen jedes Jahr.

Das ist mein Hobby.

Ostsee

Am 11.5.1923 war meine Hochzeit mit Maria Luley (Mariechen).

Es war Inflationszeit.

Unsere Hochzeitsreise ging mit dem Schwager Fritz Luley nach der Insel Rügen. Wir haben Rucksack-Wanderungen gemacht, ohne festen Wohnsitz. Die Bahnfahrt ging bis Stettin, dann mit dem Dampfer durch das große Haff bis Swinemünde, dann zu Fuß nach Ahlbeck. Dort bekamen wir ein sehr primitives Quartier. Fritz und ich haben im Waschhaus geschlafen. Mariechen in einem anderen Raum. Es war ein kleines Fischerhaus. Am nächsten Tag ging die Wande­rung an der Ostseeküste los. Nach Heringsdorf und Bansin. Dazwischen woll­ten wir Kakao kochen, auf dem Spirituskocher mit Seewasser, konnten aber den Kakao nicht trinken.

Am Nachmittag sind wir mit der Strandbahn über Wolgast, Greifswald bis Stralsund gefahren. Von dort mit dem Trajekt Überfahrt bis Alte Fähr nach Bergen. Hier haben wir einen Zug übersprungen, dann ging die Fahrt weiter nach Saßnitz. Da war die zweite Übernachtung. Sie war gut. Am anderen Mor­gen wanderten wir an der Rügenküste entlang bis Stubbenkammer.

Das Wetter war herrlich. Über Kreidesteingeröll ging es nach unten zum Strand. Bald kam ein kleiner Küstendampfer, der uns wieder nach Saßnitz brachte.

Die Schwiegermutter, Mutter Luley, hatte uns im Kochgeschirr Kartoffelsalat mitgegeben. Dieser war inzwischen sauer geworden. Die am Morgen bestellten Räucherflundern haben wir zum Abendbrot ohne Salat gegessen. Am anderen Tag machten wir eine Fahrt mit einem großen Dampfer nach Ahlbeck zurück. Unter­wegs wurde es sehr stürmisch, sodaß Mariechen seekrank wurde und übergab sich auf den Hut einer nebensitzenden Frau. So ist eine Seefahrt!

In Ahlbeck haben wir in demselben Quartier nochmals übernachtet. Am nächsten Tag fuhren wir nach Massow zum Onkel Luley, der dort Waisenhaus Inspektor war. Lange konnten wir uns nicht aufhalten, da durch die Inflation die Preise derartig anstiegen, dass wir befürchteten, unser Fahrgeld würde für die Rück­fahrt nicht mehr ausreichen. Da eine Fahrkarte Millionen bis Milliarden ko­stete. Als wir zu Hause ankamen, war der Geldbeutel leer.

 

Thüringen

Da ich zur Zeit einen Blumenfimmel hatte, wollte ich mal eine kleine Reise mit Marie eben machen, auf gut Glück haben wir Fahrkarten nach Erfurt ge­löst. Wir fanden dort ein Quartier zum übernachten. Unsere Sachen haben wir abgesetzt und sind dann zu Blumenschmidt gegangen. Dort war wenig zu sehen. Ebenso bei Heinemann.

In unserem Quartier erkundigten wir uns, wo es etwas schönes zu sehen gäbe.

Es wurde uns geraten, nach Hopfgarten zu fahren, eine Station vor Weimar. Am anderen Morgen sind wir losgefahren. Es war dunstig. 10 Mi­nuten Weg bis zum Berghotel. Wir kamen an und wollten da oben Kaffeetrinkern.

Erst waren wir sehr enttäuscht, aber als der Nebel fort war, hatten wir einen herrlichen Blick auf Weimar. Dann gingen wir herunter zur Stadt und führen nach Belvedere. Am Abend ging es wieder nach Erfurt zurück und über Jena nach Hause.

Norwegen

Mein Urlaub hatte gerade angefangen. Ich saß im Garten zu Hause, als es einen richtigen Knall gab und ein großer Rauchpilz am westlichen Himmel emporstieg. Ich lief auf den Hausboden und sah vom Dachfenster aus, dass es eine große Explosion in den Sprengstoffwerken sein musste, zu Hause hatte ich keine Ruhe und fuhr sofort mit dem Fahrrad hin, um zu sehen, was ge­schehen war und wo ich helfen konnte. Unterwegs begegneten mit eine Unmen­ge Kranken- und Privatautos mit Verletzten. Als ich im Werk ankam, wurde mir gesagt, ich könnte bald wieder nach Hause fahren, da die größte Gefahr

vorüber sei.

Da nun einige die Reisekarten für eine Fahrt nach Norwegen bestellt hatten, absagten, so hatte ich das Glück, zwei Reisekarten für uns Beide zu bekom­men. Wir mußten schnell unsere Koffer packen, da in der kommenden Nacht um 0.30 Uhr die Fahrt von Wittenberg los ging.

Um 9.30 Uhr kamen wir dann in Hamburg an. Der Zug fuhr bis dicht an den Dampfer. "Monte Sarmiento". Uns wurden unsere Kabinen angewiesen, wo wir unser Gepäck unterbringen konnten. Dann gab es Mittagessen. Nachdem konnten wir wählen entweder nach Hagenheck oder eine Hafenrundfahrt. Wir haben die letztere gewählt. Nach dem Abendessen wurden die Taue gelöst, das Fallreep eingezogen und die Fahrt ging los mit Gewitterregen.

Wir dachten, na, das kann ja gut werden. Vorbei gings an Plankeneese und Cuxhafen. Dann kam die offene See. Helgoland sahen wir aus der Ferne. Wei­ter gings nach Norwegen, an den Ort Haugesund vorbei, wo die ganze Gegend sehr nach Hering roch. Wir haben den Fischern zugewinkt. Die haben aber mit einer abwehrenden Geste geantwortet. Die Meeresküste hatte viele Klippen.

Wir fuhren durch den Stavanger Fjord und durch den Hardangerfjord, an der Stadt Bergen vorbei und dann durch den Sognefjord.

Da wir sehr gutes Wetter hatten und eine sehr ruhige See, so war es eine herrliche fahrt. Der Kapitän war selbst sehr begeistert. Er sagte durch Lautsprecher: „Wir fahren ausnahmsweise den ganzen Sognefjord hindurch.“

Dieser Fjord war ja auch der herrlichste. Wasserfälle von den schneebedeckten hohen Bergen ergossen sich. Vorbei an Balholm, Kaiser Wilhelm Kreuzeck(?).

Auch der Dichter Knut Hamsun stand vor seiner Villa und grüßte von weitem.

Nachts am 21.6.1935 zur Sommersonnenwende war es so hell, dass man noch die Zeitung lesen konnte. Verschiedene Passagiere und ich sind aufgeblieben, um die hellste Nach zu genießen. Bevor es in die offene See wieder hinaus ging, wurde durch Lautsprecher Windstärke 5 angekündigt. Jeder suchte sich noch vor Seekrankheit durch alkoholische Getränke zu schützen. Es kam aber anders. Die See war spiegelglatt, was selten vorkommt. Delfine verfolgten das Schiff und fischten sich die Happen von den Abfällen. Vom Schiff aus

wurden viele Aufnahmen gemacht. Die Verpflegung war großartig. Es waren ca. 3000 Fährgäste und wurden in 3 Abteilungen verpflegt. Wir saßen in einem großen Speisesaal mit festlich gedeckten Tafeln. Es gab in Hülle und Fülle.

An den Verkaufsstellen gab es steuerfreie Rauchwaren, Schokolade, Spirituosen usw.

Beim Verlassen der "Honte Sarmiento" mussten wir uns einer Zollkontrol­le unterziehen, die aber meistens sehr gnädig ausfiel. Der Urlauberzug stand am Hafen in Hamburg schon bereit und dampfte bald ab.

Die Erinnerung an diese schone Fahrt wird allen, die es mit erlebt haben, wach bleiben. Der Rundfunk verkündigte uns unterwegs die Beerdigungsfeier der Toten von dem Sprengstoffwerksunglück.

Nachwort

Die meisten Reisen haben wir auf eigene Kosten unternommen und wären dadurch immer unser eigener Herr und konnten fahren, wann und wohin wir wollten.

War das Wetter schön, sind wir gewandert. Bei Regenwetter blieben wir im Quartier, der Wetterbericht zeigte doch immer an, ob Regen oder Sonne kommt.

Es kam der 2. Weltkrieg und damit hörten jegliche Urlaubsreisen auf.

Mein Mariechen hatte durch den 2. Weltkrieg noch zu ihrem Leiden die vielen seelischen Aufregungen und ist 1943 eingeschlafen.

Für mich bleiben immer noch die vielen schönen, aber auch traurigen Erinnerungen.

Mein Opa Glaubig schrieb über seinen Onkel Richard Glaubig noch einiges auf, was auch gut die Gesinnung der damaligen Zeit wiedergibt.

 

Ich für meinen Teil kann Onkel Richard noch für vieles danken. Er war es, der mir sein Heimathaus in Schnellin zeigte, dazu das letzte Stück, das von der elterlichen Landwirtschaft geblieben war: Die Wiese auf Kleinzerbster Flur. Manche Radtour war lehrreich, weil er so viele Pflanzen kannte, die er mir erklärte. Für meine Ausbildung als Drogist war das Gold wert. Und als ich mein Herbarium anfertigen musste half er mir Pflanzen finden und bestimmen. Ich könnte heute noch Rosen veredeln, so wie es mir Onkel Richard beigebracht hat. Und klassische Musik hat er mir auch lieb gemacht. Das wirkt bis heute nach.

Übrigens hat Onkel Richard einige Kompositionen geschrieben. Charakterstücke wie sie damals beliebt waren, nett anzuhören, und einen Marsch, wirklich sehr gut. Diesen hat sogar eine Kapelle beim Einzug einer neuen Polizeieinheit in die Stadt Wittenberg gespielt.

Die Noten sind bei all den Wohnungsänderungen wohl leider verloren gegangen. Noch in seinem letzten Lebenswochen versuchte er sich an einem Kinderlied in Erinnerung an das Gänsehüten.

Ich möchte aber auch eine dunkle Seite von Onkel Richard nicht verschweigen.

Bitter enttäuscht vom deutschen Kaiser, der seine Soldaten und sein Volk im Stich gelassen hatte und nach Holland getürmt war (er nannte den Kaiser nur noch „Lehmanns Wilhelm“), und angesichts der Tatsache, dass er aufgrund des Versailler Vertrags ein halbes Jahr vor Vollendung  seiner zwölfjährigen Dienstzeit aus dem Militärdienst entlassen wurde und damit eine gute Beamtenlaufbahn verbaut war. Zu Hindenburg hatte er zutrauen. Einmal vor dem Ersten Weltkrieg hatte er ihn anlässlich eines Manövers erlebt, weil die Musikkapelle ihm ein Geburtstagsständchen blasen musste. Immerhin hatte sich der General dafür bei jedem Hoboisten mit Handschlag bedankt. Aber was dann in der Weimarer Republik die sogenannten Demokraten an Hickhack veranstalteten bis Deutschland plötzlich unregierbar geworden war, erschien ihm unmöglich und beschämend.

Bis einer kam, der lauthals versprach aufzuräumen mit der Vielzahl der Parteien, sie aus Deutschland hinaus zu fegen und endlich Ordnung und recht im Lande wieder herzustellen. Wie so viele Menschen in jener Zeit die ließen sich auch die Brüder Richard und Willy Glaubig von diesem Adolf Hitler beeindrucken, in der guten Meinung, jetzt könnte eine neue und bessere Zeit für das Vaterland anbrechen. Schon Neunzehnhundertzweiunddreißig war Erich Fischer, ihr Schwager, der Nazipartei eingetreten, noch Neunzehnhundertdreiunddreißig taten es die Brüder Glaubig. Aber während Willy, mein Vater, sich engagiert und es nach einer Parteischulung in Seeburg am Bodensee bis zum Zellenleiter gebracht hat, hielt sich Richard zurück. Ich habe Richard nie in Partei Uniform gesehen. Er hat sich auch kaum oder gar nicht an Parteiversammlungen beteiligt. Trotzdem brachte er ist in Aufbruchsstimmung der ersten Zeit fertig ein Gedicht auf Hitler zu schreiben und zu vertonen. „Sieg Heil, du schlichter deutscher Held, sieg heil vor aller Welt…“

Er sandte es sogar an die Reichskanzlei und erhielt auch noch ein Dankschreiben im Namen des „Führers.“ Aber damit war es auch vorbei und geriet zum Glück in Vergessenheit.

In dieser Zeit entstand auch ein Marsch. Er nannte ihn „Das Deutsche dem Deutschen,“ und dichtete für sein Trio drei Liedstrophen:

 

Das deutsche Volk muss halten

Die starke Einigkeit

Gerechtigkeit muss walten

Gut deutsch für alle Zeit

Das deutsche stets dem deutschen

Auch in der größten Not

Das deutsche stets dem deutschen

Durch Kampf bis in den Tod

 

Und in Europas Mitten

Da liegt das deutsche Herz

Ist oft schon viel umstritten

Ging oft durch Leid und Schmerz

Das Volk ging nicht verloren

Das Volk hat sich geregt

Das Reich ist neu geboren

Das ist's was uns bewegt

 

Wir woll'n zum Schwur erheben

Gemeinsam uns‘re Hand

Das wir im Frieden leben

Im teuren Vaterland

Gott mag den Frieden halten

Dazu des Führers Wacht

Gerechtigkeit muss walten

Das ewig bleibt die Macht

 

Na, wer will nicht in Frieden leben? Aber Gott dafür zum Helfer zu engagieren ist zumindest zu hinterfragen. Er ist der Herr und nicht die von Hitler beschworene „Vorsehung“ mit der er seine Propagandareden dekorierte. Und ausgerechnet Hitler zum Wächter des Friedens zu bestellen, heißt den Bock zum Gärtner zu machen. Jawohl, Gerechtigkeit muss walten, aber nicht um die Macht eines Mannes zu schützen der das Recht mit Füßen tritt, sondern den Frieden zu ermöglichen.

Aber natürlich ist es heute, 70 Jahre danach leicht für mich dieses Urteil zu finden. Onkel Richard hat damals wohl schwerlich erkennen können was falsch war an seiner Dichtung. Und das Dilemma zeigte sich, dass ein gut komponiert Marsch nachträglich so schwer von einem ganz und gar verfehlten Text zu trennen ist. 

Richard ist wohl kaum mit Juden in Berührung gekommen. Und wenn es so gewesen wäre, dann hätte er wohl kaum daran gedacht, ihnen Unrecht zuzufügen. Umso mehr hat mich eine Begebenheit erschüttert, die sich erst um 1960 ereignete. Bei einer Geburtstagsfeier kam, wie auch immer, die Rede auf Schmarotzer.  Da meldete sich Onkel Richard zu Wort. Wie ein Lehrsatz, den ein Lehrer seinen Schülern vermittelt hatte, deklamierte er mit vollem Ernst:

„Der Schmarotzer der Pflanzen sei die Mistel (der seine Nahrung aus fremden Bäumen holt), der Schmarotzer der Tiere sei der Kuckuck, und der Schmarotzer der Menschen sei der Jude.“

Als daraufhin die Runde protestierte und handfeste Argumente entgegenhielt, wurde er schnell recht still. Aber er hütete sich auch, seine aufgestellte Behauptung zurückzunehmen. Kann eine böse Propaganda so lange so böses Unheil anrichten? Und Richard ist leider nicht der einzige Mensch, bei dem ich so etwas oder so etwas ähnliches erleben musste.

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